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Lautes Hupen, kräftiges Winken, dann rollt der LKW los

Die Ostergemeinde in Wedding sammelte Sachspenden für die Ukraine und brachte sie nach Lobetal

Von Sibylle Sterzik

„Wir haben die Ladefläche des Transporters voll mit gesammelten Hygieneartikeln, Verbandszeug, haltbaren Lebensmitteln, Decken und Matratzen. Und 564,11 Euro sind auch schon auf das Konto der Ukraine-Hilfe unterwegs“, sagt  Thilo Haak zu einem Mit­arbeiter der Ukraine Hilfe Lobetal. Der Pfarrer der Ostergemeinde in Berlin-Wedding brachte die gespendeten Hilfsgüter am 25. März nach Lobetal bei Bernau. Mit dem Geld werden vor allem die Hilfstransporte in die Ukraine finanziert.  Der Spendenaufruf ist gut angenommen ­worden in der Ostergemeinde. 

Der Mitarbeiter steht am Eingang, freut sich und winkt uns sofort rein. Vor der Übergabe stapelten sich die Kisten und Tüten noch in der Kirche. Täglich wurden es mehr. Gemeindekirchenratsmitglied Gabriele ­Sawitzki steuerte die Kartons zum Verpacken bei, Diakonin Susanne Werner nahm die Spenden im ­Kirchenbüro entgegen und sortierte alles in die Kisten. Das Laib&Seele-Team half beim Aufladen in den ­geliehenen Kastenwagen, der morgens noch zum Abholen der Lebensmittel für die Ausgabestelle Laib & Seele diente. Dann ging es los.

„Hier hat es leider ein bisschen nachgelassen“, erklärt der Mitarbeiter der Initiative auf dem Gelände der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal bei Bernau. Das sei aber zu ­erwarten gewesen, die Spendenbereitschaft schwanke eben. Das hätten sie schon oft erlebt. Und es kämen immer mehr Leute hinzu, die privat Hilfs­güter transportieren. Der Nachteil sei, „die meisten fahren ohne Adresse los, einfach so“. Die LKWs der Ukraine Hilfe Lobetal dagegen hätten immer ein festes Ziel. 

Die Ostergemeinde entschied sich bewusst für eine diakonische Initiative, die auf 28 Jahre Erfahrung in der Hilfe für Menschen in der Ukraine zurückblickt. „Das ist eine kirchliche Einrichtung, unser idealer Partner“, sagt Thilo Haak. Auf seiner Sitzung im März hatte der Gemeindekirchenrat die Sammelaktion beschlossen. Über die „Gute-Nachrichten“-Rundmail, auf der Homepage, bei Facebook, mit einem Plakat im Schaukasten, im Gottesdienst und von Mund zu Mund  wurde dafür ­geworben. 

Gelbe und rote Nadeln in der Ukraine-Karte

„Wir haben uns 1994 gegründet als Initiative der Kirchengemeinde der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal“, ­erzählt Initiatorin Elisabeth Kunze. Der Verein agiert unter dem Dach und in Räumen der Stiftung, ist aber selbstständig. „Wir arbeiten gut zusammen“, erzählt die Gründerin. In einem Flachbau nehmen die Mit­arbeitenden der Initiative die Sachspenden entgegen. Auf langen ­Tischen liegen Kleidungsstücke, überall wuseln ehrenamtlich Mit­arbeitende herum. Manche sprechen Russisch. Alle greifen sofort beim Ausladen des Transporters aus der Ostergemeinde mit zu. Ruckzuck ist die Ladefläche leer. 

„Die LKWs der Ukraine Hilfe Lobetal fahren nach Lwiw (Lemberg), Luzk (Lutschesk), Tschernihiw (Tschernigow). Früher fuhren sie auch nach Odessa und Charkiw“, erklärt der Mitarbeiter. Auf der großen Karte im Durchgangsflur des Flachbaus zeigt er auf die Großstädte im Nordwesten der Ukraine. Gelbe Pinnadeln stecken dort und viele rote. Von gelb nach rot werden die Hilfsgüter von lokalen Partnern ­weiter transportiert. Wie und wo genau, darüber spricht hier niemand, um Fahrer und Lieferung nicht zu gefährden. Auch Hilfsgüterkonvois sind in der Ukraine laut Medienberichten schon beschossen worden.  „Nach gelb ­fahren wir und nach rot haben wir Kontakte. Da habe ich überall ein Gesicht vor Augen von früheren Hilfstransporten lange vor dem Krieg“, sagt Elisabeth Kunze. „Nicht alle habe ich schon persönlich getroffen, aber mit vielen telefoniert.“ 

Einen engagierten ukrainischen Pfarrer verfolgt sie auf Facebook. Dort beschreibt er, wie er mit Tränen in den Augen hinterm Steuer sitzt und Leute aus der zerbombten Hafenstadt Mariupol herausholt. Wenigstens die Kinder will er in Sicherheit bringen, doch oft wollen die Eltern sie bei sich behalten, in den Kellern, in denen sie Schutz suchen. 

Manchmal kommt es vor, dass sie dann am nächsten Tag doch anrufen und sagen: Es wird so viel geschossen, hol die Kinder hier raus. Dann fährt er mit noch größerem Risiko wieder los und holt die Kinder. Einige bezahlen solche Rettungsaktionen mit ihrem Leben. Auch davon berichten Retter auf ­Facebook. Gestern holte Elisabeth Kunze  zwei aus der Ukraine geflüchtete Frauen aus Berlin ab, eine aus Kiew, eine aus Charkiw. „Sie haben auch in Kellern gesessen. Hier zucken sie bei jedem komischen Geräusch zusammen.“ 

Anfangs drei, heute ein LKW

Im Schnitt verlässt ein 40-Tonner-LKW pro Tag die Ukraine-Hilfe Lobetal in Richtung Westukraine, von wo die Spenden durch lokale Partner weiter verteilt werden. An manchen Tagen waren es sogar drei. „Bei Kriegsausbruch hatten wir so viele Sachen und wussten gar nicht wohin damit“, erinnert sich Elisabeth Kunze. „Da konnten wir drei Fahrzeuge am Tag füllen.“ Heute ist es einer, der den Hof verlässt. Lautes Hupen, Fahrer und Mitarbeitende winken sich zu, dann rollt der Koloss von 40 Tonnen durch die engen ­Straßen los Richtung Ukraine. Der nächste LKW steht schon mit geöffneten Hecktüren an der Laderampe. Auf seiner riesigen Ladefläche ­stehen erste Kisten. Die der Ostergemeinde landen nach kurzem Check gleich daneben. 

„Es wird bestimmt nicht das letzte Mal sein, dass wir Sachspenden hierhergefahren haben“, sagt Thilo Haak. Die Ostergemeinde sammelt weiter. Das freut Elisabeth Kunze, denn im Augenblick könnten es mehr Lebensmittelspenden sein. Die werden am dringendsten gebraucht. Drei Monate haltbare ­Lebensmittel, die sich schnell zubereiten lassen. Konserven oder Suppenterrinen, die nur mit Heiß-Wasser zubereitet ­werden. Energieriegel, Haferflocken. Öl, Reis, Nudeln, Tee. Auch ­Taschenlampen, Powerbanks und Kerzen. Keine Kleidung. Gehhilfen, Rollatoren, Rollstühle und andere Hilfsmittel wie gehen alle mit in den Osten. 

Auch medizinisches Notfallmaterial wird dringend benötigt. Beispielsweise ein taktisches Notfall-Tourniquet, eine Bandage, um ­Blutungen zu stillen. Die kann man mit einer Hand bedienen. Ab 10 Euro sind sie im ­Internet zu haben. Oder Helme und kugelsichere Schutz­westen für die Fluchthelfer. Die sind teuer, kosten ab tausend Euro aufwärts. Oder eine Splitterschutzweste für einen Arzt. Verbandsstoffe und Medikamente wie blutdrucksenkende Mittel, Schmerz­mittel, leichte Beruhigungsmittel zum Schlafen, etwas gegen Übelkeit, Kopfschmerzen und Erkältung. 

Zu wissen, was gebraucht wird, hilft beim Sammeln. Mit der Liste im Kopf geht’s zurück nach Berlin. Als der Mitarbeiter des Autoverleihs bei der Rückgabe des Transporters hört, dass der für einen Hilfsgütertransport für die Ukraine unterwegs war, erlässt er der Ostergemeinde kurzerhand die Mehrkilometer und eine Stunde Fahrtzeit. Helfen wollen fast alle. Man muss nur wissen wie.