Überfüllte Notfallambulanzen in Kliniken, überlastete Ärzte und genervte Patienten: Der Streit über die Notfallversorgung schwelt schon lange. Jetzt will der Bundesgesundheitsminister Eckpunkte für eine Reform vorlegen.
Die Notfallversorgung und der Rettungsdienst in Deutschland sollen grundlegend reformiert werden. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will dazu am Dienstag in Berlin Eckpunkte vorstellen.
Ärzte und Gesundheitspolitiker beklagen seit Jahren eine Fehlsteuerung bei der Patientenversorgung in Notfällen. Bei den Krankenhäusern klagen die Notfallambulanzen über Überlastung. Patienten wiederum beschweren sich über extrem lange Wartezeiten. Viele Patientinnen und Patienten nutzten die Notfallnummer 112 auch bei kleineren und chronischen Erkrankungen oder bei Einsamkeit. Zudem beklagen Experten eine “völlig zersplitterte Zuständigkeit” der Rettungsdienste durch föderale Strukturen.
Die Zahl der Notfallpatientinnen und -patienten in Deutschland hat zuletzt deutlich zugenommen: von 24,9 Millionen im Jahr 2009 auf 27,8 Millionen im Jahr 2019. Allein die Zahl der von Krankenhäusern behandelten Notfallpatientinnen und -patienten stieg dabei von 14,9 Millionen 2009 auf 19,1 Millionen 2019 und damit um 28 Prozent.
Ein Drittel der Patienten komme mit Bagatell-Erkrankungen in die Notaufnahmen; sie könnten genauso gut vom Hausarzt oder vom Notdienst der niedergelassenen Ärzte behandelt werden, heißt es. Vielen Bürgern sei nicht klar, dass sie statt der Notrufnummer 112 auch die ärztliche Bereitschaftshotline 116117 anrufen können.
Im Februar 2023 hatte eine Regierungskommission ein Reformkonzept vorgestellt. Sie schlägt eine flächendeckende Einführung von integrierten Notfallzentren (INZ) sowie integrierten Leitstellen (ILS) vor. Hilfesuchende, die sich in einem Notfall an den Rettungsdienst (112) oder an den kassenärztlichen Notdienst (116117) wenden, sollen durch eine integrierte Leitstelle eine telefonische oder telemedizinische Ersteinschätzung erhalten und dann der für sie am besten geeigneten Notfallstruktur zugewiesen werden. Notaufnahmen in Krankenhäusern sollen so möglichst nur von Hilfesuchenden genutzt werden, die diese Strukturen wirklich benötigen.
Im September hatte die Kommission auch Reformvorschläge für den Rettungsdienst vorgelegt. Sie plädierte dafür, dass die Bundesländer die Koordinierung des Rettungsdienstes straffen. Richtwert soll eine Leitstelle pro etwa 1 Millionen Einwohner sein. Patientinnen und Patienten sollen künftig nicht mehr so oft automatisch ins Krankenhaus gebracht, sondern wenn möglich zunächst vor Ort behandelt werden.
Die Befugnisse von Notfallsanitäterinnen und -sanitätern sollen dazu nach den Vorschlägen der Kommission ausgeweitet werden. Sie sollen auch Medikamente geben und invasive Maßnahmen vornehmen dürfen. Besonders qualifizierte Notfallsanitäter sollen den jetzigen Notarztdienst ersetzen. Notärzte sollen nur in besonders schwierigen Fällen eingesetzt werden. Für eine hochwertige Notfallversorgung auch in ländlichen Regionen soll der Luftrettungsdienst, insbesondere durch Ausbau von Landemöglichkeiten und Nachtbetrieb, erweitert werden.