„Am Ende müssen wir alle miteinander auskommen – wir teilen uns die Welt“. Ein Nicken, ein Seufzen, ein Schulterzucken geht durch die Runde. Ja, da sind sie sich einig. Detlef Kurreck, der Präsident des Bauernverbandes MV, schloss mit diesem Gedanken eine intensive Gesprächsrunde, in der die Spannbreite der Positionen über die Rolle von Bauern und Landwirtschaft in unserer Gesellschaft weit ausgelotet wurde: emotional, aber dennoch sachlich.
Getroffen hatten sich dazu Vertretende der Nordkirche und des Bauernverbandes Mecklenburg-Vorpommern. Die Gaststätte Pudelkönig in Neu Kaliß lieferte den Rahmen: 30 Männer und Frauen saßen bei Kaffee an der Konferenztafel, hörten den Fachvorträgen zu und diskutierten das Gesagte.
Was läuft da eigentlich falsch?
Es ging um eine Selbstvergewisserung an diesem Tag – nicht ums Meckern und nicht darum, Schuldzuweisungen über ein ruiniertes Image loszuwerden. Sehr wohl aber wurden Fakten, Zahlen und Argumente beleuchtet. Wo stehen wir als Bauern und Bäuerinnen? Wie werden wir wahrgenommen? Und: Was läuft da eigentlich falsch? „Es braucht solche Gesprächsräume, wir als Kirche können sie liefern“, sagt Bischof Tilman Jeremias. Das sei auch der Grund, weshalb die Kirche jährlich nach dem Landeserntedankfest in MV zu dieser Begegnung einlädt.
Dr. Martin Piehl ist Hauptgeschäftsführer des Bauernverbandes MV. Er erläuterte quasi den Stand der Dinge und verdeutlichte anhand von Statistiken, wie tiefgreifend der Strukturwandel in die Landwirtschaft eingreift – mit welchen fatalen Auswirkungen für die Bauern. Eindrücklich belegt der Betriebsberater, wie prekär sich die Situation über die Jahre entwickelt hat. Der Druck auf die Landwirte, aus den Böden immer mehr Erträge herausholen zu müssen, um ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften, steht in fetten Zahlen an die Wand projiziert. „Im Verhältnis zu den Durchschnittslöhnen ist der Beruf nicht mehr konkurrenzfähig“, so der Fachmann.
„Im Durchschnitt sind wir unter Wasser“
Ein paar Beispiele. Die Arbeit in den landwirtschaftlichen Betrieben verteilt sich auf immer weniger Schultern: die Arbeitskräfte verringerten sich seit 1991 von 71 400 auf 17 900 Personen. 1949 ernährte ein Landwirt zehn Menschen. 2020 waren es 139. Die Arbeitsplätze kosten immer mehr. Demgegenüber geben die Menschen immer weniger Geld für Lebensmittel aus: Waren es um 1900 noch 55 Prozent des Einkommens, sind es heute 15 Prozent. Vom Endprodukt kommt immer weniger Geld bei den Bauern an: nur fünf Prozent eines Brotes etwa. Erhielt der Bauer 1971 noch 88 Prozent vom Erlös eines Eies, so sind es heute nur noch 38 Prozent. Die Kosten stiegen, die Erlöse wurden geringer. Durch den demographischen Wandel schwanden die Arbeitskräfte, Bruttolöhne sanken, regionale Märkte schrumpften.
„Im Durchschnitt sind wir unter Wasser“, fasst es einer der Bauern etwas lakonisch zusammen. „Dennoch werden Sie hier gebraucht“, betont Martin Piel. Und zwar in großen UND in kleinen Betrieben, gerade die Mischung sei sinnvoll: „Gäbe es nur Kleinbetriebe, wie oft gewünscht: so viele Nachfolger fänden sich gar nicht.“
Auch global betrachtet: Hier in Deutschland zu produzieren sei wichtig. „Alles was wir auslagern, führt zu schlechteren Standards. Wir importieren zu viel. Rund vier Million Hektar deutscher Anbaufläche liegen allein in Südamerika!“ „Interessante Zahlen“, sagt einer der Bauern. „Wenn man das mal so vor Augen geführt bekommt, ist es ganz schön niederschmetternd.“
Aldi bestimmt, welches Fleisch im Regal liegt
Der promovierte Agrarökonom Jan Menkhaus gibt den Landwirten Rückenstärkung – das Gefühl: Ihr werdet wahrgenommen in eurer Not. Der Referent für Landwirtschaft und Ernährung beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt der Nordkirche unterstreicht in seinem Vortrag die prekäre Situation. „Wir beobachten, dass viele Betriebe ausbluten und am Ende sind. Das tut weh.“ Er benennt einen bundesweiten Verlust von über 50 Prozent der Betriebe innerhalb der letzten Generation. Und ein weiteres Dilemma: das zwischen dem Gebraucht-Werden einerseits und der mangelnden gesellschaftlichen Anerkennung andererseits. „Viele verstehen nicht, warum es den Bauern schlecht geht, dass der Bauer den Preis nicht festlegen kann, sondern nehmen muss, was übrig bleibt – und dass Aldi bestimmt, welches Fleisch im Regal liegt.“
„Wir machen euch satt!“, demonstrierten die Landwirte auf einer Demo. „Wir haben es satt!“ der Naturschutz. Landwirte würden zu den Buh-Männern der Nation: Boden-Diversität, Klima, Tierhaltung, Mitarbeitende, Saisonkräfte – viele Problemfelder würden oft undiffernziert den Bauern zur Verantwortung gegeben – die ihrerseits in der Bredouille stecken. „Aber es ist eben nicht schwarz oder weiß. Wir brauchen mehr Grauzone, Argumente haben ihre Berechtigung.“
Vielen Anwesenden spricht er aus der Seele. Die Wortmeldungen machen klar, wie ungerecht sich manche behandelt fühlen.
„Die Gesellschaft möchte alles öko“, beklagt jemand. „Aber sie haben keine Vorstellung, was das an Fläche und Arbeitskraft kostet.“ „An der Ladenkasse haben viele oft vergessen, dass sie eigentlich Öko wollen“, sagt eine andere. „Zwei Prozent arbeiten in der Landwirtschaft, und 98 Prozent wissen, wie es funktioniert“, wird gelästert.
„Wir sollen eine Idylle liefern wie in der Werbung“
Viele sehen sich Erwartungshaltungen ausgesetzt, die an der Realität vorbeigehen. „Wir sollen eine Idylle liefern wie in der Werbung“, sagt einer. „Aber wir sind Wirtschaftsunternehmen.“ Expandieren oder aufgeben. Das sei die Lebenswirklichkeit.
Auch selbstkritische Töne werden laut. „Wir haben es verlernt, die Leute mitzunehmen, haben uns auf den Trecker gesetzt und gedacht, alles wird gut“, konstatiert einer. Ein anderer mahnt, dass auch die Kritik landwirtschaftsferner Menschen beachtet werden muss: „Wir Landwirte können ja auch nicht behaupten, dass es in jedem Falle richtig ist, riesige Anlagen zu bauen. Oft passiert es auch nicht freiwillig: genug Betriebe haben Kredite zu laufen und sind da reingeschlittert. Aber wir können nicht generell sagen: Groß ist toll!“
„Die Landwirtschaft ist die Basis dafür, dass unser Frühstückstisch gedeckt ist. Ich höre, dass die Rahmenbedingungen dafür nicht funktionieren“, fasst Bischof Jeremias zusammen und ermuntert zum Reden. „Was uns verbindet“, so Kurrek: „Wir wollen gesehen werden. Und wir müssen uns der gesellschaftlichen Diskussion stellen.“