Hamburg. Das über 500 Jahre alte Südschiff der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi gleicht in diesen Tagen einer Künstlerwerkstatt. Die Malerin Caroline von Grone hat ihre Farben ausgebreitet und eine lebensgroße Staffelei aufgestellt. Das Ölgemälde darauf sieht fast fertig aus: Es zeigt einen langhaarigen Mittvierziger mit Brille und grünem Shirt, sein Blick ist freundlich und offen. Der Abgebildete steht direkt daneben: Thomas. Er ist obdachlos, noch. Die Hamburger Künstlerin, die sich schon häufiger mit Obdachlosen beschäftigt hat, porträtiert noch bis zum Freitag, 20. Oktober, in der Kirche Menschen mit und ohne Wohnung. Die Besucher können ihr dabei über die Schulter schauen.
Die Unterhaltung mit Thomas (er nennt nur seinen Vornamen, alles andere sei "Schall und Rauch") wird schnell lebhaft. Ein kluger Mann, der voller Geschichten steckt. Er ist gesprächig und weiß durchaus treffend zu formulieren. Caroline von Grone hat ihn in einer Tagesstätte für Obdachlose entdeckt und gefragt, ob er sich malen lassen will. Erst habe er ein wenig gezögert, sei aber schnell überzeugt worden, und nun sei die gemeinsame Arbeit ein "steter Quell der Freude", so die Künstlerin. Sie male aber nicht nur obdachlose Menschen, stellt sie klar. Es gehe ihr nicht um Schubladen: "Wir sind doch hier nicht im Zoo."
Von der Polizei vertrieben
Vielleicht sind die – sehr authentischen – Bilder auch gar nicht das Wichtige, sondern vielmehr die Unterhaltungen, die sich unter den Beteiligten ergeben. Bei ihm, erzählt Thomas, sei die Obdachlosigkeit eine sehr kurzfristige Entscheidung gewesen, bei anderen dauere es länger. Gerade habe ihn die Polizei von seinem angestammten Schlafplatz in der Hamburger Hafencity vertrieben – sieben Jahre habe er ihn unbehelligt benutzt. Der Hausmeister des Gebäudes habe gewechselt. Nicht nur dort, wo Touristen entlang gingen, würden Obdachlose weggescheucht. "Das wird jeden Tag schlimmer."
Thomas hat Glück: In wenigen Tagen geht er in die Schweiz. Er habe einen Verlag gefunden, der ein Buch über sein Leben veröffentlichen wolle. Die Frage nach seinem eigentlichen Beruf beantwortet er mit einem Wort: "Verbrecher". Aber das habe er längst hinter sich gelassen.