Sie gelten als Glücksbringer. Derzeit überfliegen zehntausende Kraniche die Bundesrepublik und sorgen mit ihren heiseren Schreien für Frühlingsgefühle.
“Erste Kraniche an Hessens Himmel.” “Kraniche über NRW gesichtet.” “Kraniche ziehen schon über Höxter nach Norden.” Es klingt wie eine Verheißung auf Frühling, Sonne und Wärme, wenn regionale Medien derzeit über die Rückkehr der größten Zugvögel Europas berichten.
Seit jeher üben die eleganten Langstreckensegler eine große Faszination aus: wegen ihres Flugs in der energiesparenden V-Formation, ihrer trompetenhaften Schreie, die über große Entfernungen zu hören sind, und ihres poetischen Balz-Tanzes. Weil sie oft als erste Zugvögel zurückkehren, gelten sie als Frühlingsboten.
Rund 400.000 Exemplare dürften in diesen Tagen in die Sumpf- und Moorlandschaften des nördlichen und östlichen Europa zurückfliegen, schätzen die Kranichexperten vom Naturschutzbund NABU. Überwinterten die Vögel lange in Nordafrika, Portugal oder Südspanien, haben sich ihre Flugrouten wegen des Klimawandels inzwischen deutlich verkürzt. Nordspanien und Frankreich sind die wichtigsten Winterquartiere. In den letzten Jahren versuchen zudem immer mehr Kraniche, auch in Deutschland zu überwintern.
Rund 120 bis 130 Zentimeter erreicht der Graukranich an Körpergröße. Damit ist er deutlich größer als Graureiher und Weißstorch, mit denen er verwechselt werden könnte. Mit einer Flügelspanne über 200 Zentimetern kann er sich mit großen Adlern messen. Bis zu 70 Kilometer pro Stunde können die Tiere in der Luft zurücklegen und unter Umständen sogar ohne Unterbrechung von Nordfrankreich bis nach Ostdeutschland fliegen. Eine zentrale westeuropäische Flugroute führt über Luxemburg, Rheinland-Pfalz, die Rheinschiene, das Ruhrgebiet und die Diepholzer Moorniederung in Niedersachsen.
“Kraniche sind spontan und schlau. Sie beginnen ihren Rückflug in Abhängigkeit vom Winter, wobei Intuition und angelerntes Wissen der älteren Tiere eine Rolle spielen”, berichtet der Leiter des zentralen NABU-Kranichzentrums im mecklenburg-vorpommerschen Groß Mohrdorf, Günter Nowald, auf dem Portal wetteronline.de. Auch während des Zuges reagieren sie auf Wind und Wetter. So pausieren sie bei zu starkem Wind oder fliegen bei Schneefall zwischenzeitlich bis hinter die Schneegrenze zurück.
Das Kranichzentrum beobachtet, dass die in Deutschland brütenden Kraniche immer früher zurückkehren. Das hat den Vorteil, dass die Tiere freie Brutplatzwahl haben. Der Nachteil: Die Vögel sind Wintereinbrüchen und Spätfrösten im zeitigen Frühjahr deutlich stärker ausgesetzt.
Der Bestand an Kranichen hat in den letzten Jahrzehnten – auch Dank gezielter Naturschutzmaßnahmen – stark zugenommen, so dass die Art zurzeit nicht gefährdet ist. Gab es in Deutschland laut NABU 1993 nur 1.600 bis 1.900 Brutpaare, so waren es 2019 rund 11.000. Allerdings sorgten Trockenheit und Hitze in den letzten Sommern für schlechte Geburtenraten. 1991 wurde die Arbeitsgemeinschaft “Kranichschutz Deutschland” gegründet. Sie soll dafür sorgen, dem Kranich eine sichere Brutheimat sowie störungsfreie Sammel- und Rastplätze in Deutschland zu erhalten.
Die Schönheit der Kraniche, ihre spektakulären Balztänze, ihre Ausdauer und ihr gut zu beobachtender Zug haben schon in früher Zeit die Menschen fasziniert – bis hin zum Firmenlogo der Lufthansa. In der griechischen Mythologie war der Kranich den Gottheiten Apollon, Demeter und dem Götterboten Hermes zugeordnet. Er war ein Symbol der Wachsamkeit, Klugheit und Präzision und galt als “Vogel des Glücks”.
In Japan symbolisiert der Kranich das Glück der Langlebigkeit. Nach japanischem Volksglauben bekommt derjenige, der 1.000 Origami-Kraniche faltet, von den Göttern einen Wunsch erfüllt. In Hiroshima treffen jährlich 10 Millionen Papierkraniche ein, um der Opfer des Atomangriffs von 1945 zu gedenken.
Auch in der Bibel kommt der Vogel vor: Weil er immer zur gleichen Zeit zurückkehrt und außerdem in einer monogamen Beziehung lebt, gilt er als Symbol für Treue. Der Prophet Jeremia stellt ihm die Wankelmütigkeit der Menschen entgegen: “Ein Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, eine Turteltaube, Kranich und Schwalbe merken ihre Zeit, wann sie wiederkommen sollen, aber mein Volk will das Recht des Herrn nicht wissen.”