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Kleine Fluchten

In den letzten Wochen erleben alte Filme, Serien, Musik und Zeitschriften eine neue Aufmerksamkeit. In der Coronakrise hilft es vielen Menschen, sich an alte Zeiten zu erinnern

„Alles kommt zurück, alles kommt nochmal“, so sang es Roger Cicero vor wenigen Jahren. Selten stimmten diese Zeilen so wie heute. Nostalgie und die Coronakrise scheinen untrennbar miteinander verknüpft zu sein. Man spürt es bei sich selbst, in den Medien und in Gesprächen mit Freunden. Ob alte Filme, Fotos oder Lieder: Der Blick zurück hat Hochkonjunktur.

Über die Gründe kann nur gemutmaßt werden. Vielleicht liegt es daran, dass die Menschen jetzt mehr Zeit haben. Beim Aufräumen entdeckt manch einer alte Fotos und postet sie im Netz. Auch Bücher und Zeitschriften aus vergangenen Jahrzehnten tauchen wieder auf, einst verstaut im Keller oder auf dem Dachboden. Vielleicht geben die Erinnerungen an vermeintlich „gute alte Zeiten“ einfach ein beruhigendes Gefühl in einer Krise, die verunsichert.

Hörspiele aus den 80er Jahren sind beliebt

Jugendliche zeigen auf YouTube plötzlich Tricks mit dem Zauberwürfel. Rubik‘s Cube, so heißt das bunte Geduldsspiel, das eigentlich vor 30 Jahren die Welt eroberte. Plötzlich wieder da. Ebenso wie Hörspiele aus den 80er Jahren. „Die drei Fragezeichen“ etwa oder „Ein Fall für TKKG“. Ursprünglich Krimireihen für Kinder und Jugendliche, haben beide Serien schon länger Kultstatus. Aktuell stehen sie besonders hoch im Kurs. Vor allem „abends zum Einschlafen“, wie viele Fans der bekannten Hobby-Detektive berichten. Schon der Klang der bekannten Stimmen vermittelt vielen das gewünschte Retro-Feeling.

Abschalten mit Altbekanntem. Neue Eindrücke sind nicht gefragt. Zu viel Unbekanntes bringt die Pandemie mit sich. Ein ähnlicher Effekt ist etwa beim ostfriesischen „Blödelbarden“ Otto Waalkes zu beobachten. Otto macht neue Videos mit alten Witzen, und die kurzen Clips boomen im Netz. Bis zu 80 000 Klicks pro Gag. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Karriere des Komikers vor 30 bis 40 Jahren ihren Höhepunkt hatte. Aber sein Jodeln, der Klang seiner Gitarre, die Mütze mit Ottifant: alles vertraut, alles kulturelles Gedächtnis der Bundesrepublik.

In den Musikkanälen des Internet reicht die Nostalgie sogar noch weiter zurück. Songs von den Beach Boys, Elvis Presley, Bob Dylan oder den Beatles haben Hochkonjuntur. Ebenso die Hits der schon erwähnten 80er: Nena, die Spice Girls und Whitney Houston sind ganz vorn in den Charts mit dabei.

Was christliche Popmusik angeht, ist Ähnliches zu beobachten. In Wohnzimmer-Konzerten oder YouTube-Videos tauchen plötzlich Stücke von Bands und Liedermachern vergangener Jahrzehnte wieder auf, darunter Manfred Siebald, Arno und Andreas oder Damaris Joy.

Und der gleiche Effekt im Fernsehprogramm: James Dean oder E.T. der Außerirdische, alle wieder da. Genauso wie Bundesligaspiele aus vergangenen Jahren. Ersatz­droge für Fußballfans und Notlösung fürs Sport-TV.

Schon früh in der Coronakrise forderten übrigens Twitter-Nutzer, das ZDF möge doch die alten Weihnachtsserien wiederholen. Jetzt, wo man Zeit habe, sie nochmal anzusehen. „Timm Thaler“ wurde da genannt, „Anna“ und „Silas“ – allesamt mit Jungschauspielern wie Patrick Bach oder Thommy Ohrner in der Hauptrolle und allesamt über 30 Jahre alt. Das weckt ganz besonders heimelige Erinnerungen: die ganze Familie unterm Weihnachtsbaum und vor dem Fernseher. Viel mehr verklärte Rückschau geht kaum.

Einen ganz besonderen Service in Sachen Nostalgie bietet jetzt die Jugendzeitschrift „Bravo“. Das Magazin will einer möglichen Corona-Langeweile entgegenwirken und veröffentlicht alte Ausgaben aus dem Archiv. Das jeweils erste Heft der Jahre 1956 bis 1994 kann digital heruntergeladen werden. Und E.T. taucht auch hier wieder auf: Aus zehn Einzelteilen lässt sich ein Poster des berühmten Außerirdischen basteln. Ein Starschnitt. Wie früher. Alles kommt zurück. Besonders jetzt.