„Nichts kann uns trennen“. Unter diesem Titel werden wir am 4. Mai in Hannover den Schlussgottesdienst des 39. Deutschen Evangelischen Kirchentages feiern. Mit viel Musik, mit einer nachdenklich stimmenden und mitreißenden Predigt, mit Tanz und Gesang, Abendmahl und gemeinsam gesprochenen Einsetzungsworten, mit Gebeten und Texten, die immer wieder um diese Mitte kreisen: „Nichts kann uns trennen“.
Worte, die wir uns bei Paulus leihen. Ein Abschnitt aus dem Römerbrief (Kap. 8,31-39) wird dem Schlussgottesdienst zugrunde liegen, Worte, die ihren Fluchtpunkt in der glaubensgetränkten Gewissheit haben, dass „weder Tod noch Leben, weder himmlische noch staatliche Mächte, weder Gegenwart noch Zukunft, auch keine Gewalten, weder Hohes noch Tiefes noch irgendein anderes Geschöpf werden uns jemals trennen von Gottes Liebe, die im Machtbereich des Messias Jesus lebendig ist“ (Kirchentagsübersetzung).
Kirchentag 2025 in einer Zeit vieler gesellschaftlicher Probleme
„Nichts kann uns trennen“, wir werden das singen und beten, wir werden das wie eine Leuchtfackel durch den Gottesdienst und an die vielen Orte tragen, an denen wir zuhause sind. Diese Zusage. „Nichts kann uns trennen.“

Ist das so? Wir erleben es derzeit anders. Wir erleben eine Gesellschaft, die in Lager zerfällt. Eine Gesellschaft, die ihre Mitte verloren hat. Auf Weniges können wir uns noch einigen. Alte Verlässlichkeiten sind verloren gegangen: das volkskirchliche Paradigma beider christlicher Konfessionen, die Klarheit der politischen Richtungen inklusive ihrer Bindung an oder eben Abständigkeit von Kirche, feste Rollenzuschreibungen in Ehe und Familie, die Sicherheit des Friedens in Europa. Die mehr oder weniger klaren Positionen, auf die sich Nachkriegsdeutschland geeinigt hatte, bröckeln in den Dynamiken der Postmoderne, Emanzipationsbewegungen, einer gewachsenen Sensibilisierung und Verantwortung von und für Minderheiten, den Folgen einer konsequenten Globalisierung und Liberalisierung von Märkten und Wirtschaftssystemen, oder sie fallen ganz weg.
Wie soll die Kirche mit Politik umgehen?
Wir haben Dinge auszuhandeln. Wie wollen wir leben? Was ist gerecht? Was dient der Gemeinschaft, in der ich lebe? Wie gehen wir, auch und vor allem in unseren kirchlichen Gemeinden und diakonischen Verbänden, mit politischen Tendenzen um, die uns befremden oder abstoßen?
Nicht immer geschieht dieser Aushandlungsprozess nach den Regeln von Achtsamkeit, Maß und Mitte. Andere Positionen zu hören, auszuhalten, dass da jemand wirklich fundamental anderer Meinung ist als ich und dennoch eine Christin, ein Christ; dass jemand unter Bedingungen liebt und lebt, die ich nicht verstehe oder für moralisch gut erachte, das erfordert ein Maß an Toleranz, das sowohl in öffentlichen Debatten als auch in privaten Kontexten schwer zu wahren ist.
Kirchentag in Hannover befasst sich mit sensiblen Themen
Das geistlich-liturgische Programm beim Kirchentag versucht, unter den Bedingungen einer fragmentierten „Kirche zwischen Abbruch und Innovation“ und einer auseinanderfallenden Gesellschaftsordnung den „Glaube im Gespräch“ zu halten als tragende und orientierende Kraft. Es versucht, unter der Bedingung der gesellschaftlichen Bindungskraft von Religion und der die individuelle, als Resilienz bezeichnete Widerstandskraft stärkenden Funktion von Glaubenspraktiken daran zu erinnern, dass „Spirituell leben“ in der mehr und mehr auf Zahlen, Fakten und materiellen Konsum fokussierten Mentalität unserer Gesellschaft einen unersetzbaren Wert hat.
Die drei großen geistlich-liturgischen Zentren beim Kirchentag werden sensible Themen unserer Kirche und unseres Glaubens aufgreifen und zugleich die Schönheit eines gelebten und mit Ritualen und spirituellen Praktiken gestalteten Lebens zeigen. Wir fragen: Was, wenn Kirche nur noch ehrenamtlich wäre (Podium: „Die Bischöfin hat erst abends Zeit“)? Was, wenn wir wirklich mutig an Vielfalt in unseren kirchlichen Kontexten glauben würden (Podium „Kirchen für alle?“). Was, wenn es gar keine Kirche gäbe und wir mit Lust auf Verlust und Sehnsucht nach Neuem versuchen würden, Gottes Kirche noch einmal ganz neu zu gestalten (Podium: „Was, wenn es keine Kirche gäbe“)?
Kirchentag 2025: Engagement gegen Rechtsextremismus
Wir werden „Mal nach dem Rechten sehen“ und bei einem Podium dieses Titels kirchliches Engagement gegen Rechtsextremismus reflektieren. Bei einer „Fuckup-Night“ über das Scheitern von Glaubenssätzen ins Gespräch kommen. Über digitale Formen von Kirche nachdenken (Podium „Wenn nur das Digitale bleibt“), Vorstellungen von Gott und der Auferstehung diskutieren und einen „hinkenden Glauben“ bedenken, der der Tatsache Rechnung trägt, dass Gottes Segen den Versehrten gilt (Podium „Glaube hinkt und hilft“).
Wir werden pilgern, Hände auflegen, christliches Yoga machen, singen, tanzen, miteinander essen und trinken und immer wieder erleben, dass nichts uns trennen kann, wo wir in Gottes Liebe verbunden sind. Das ist in christlichem Verständnis die Grundbedingung unseres Lebens. So, wie ich von Gott geliebt bin, so ist es auch meine Nächste und mein Nächster. Das bindet uns zusammen, das stellt uns füreinander in Verantwortung. „Bunt verbunden“ werden wir sein beim Kirchentag. So lautet der Titel des Eröffnungsgottesdienstes. Mit ihm werden wir am 30. April in Hannover hoffentlich das Vorzeichen vor den 39. Deutschen Evangelischen Kirchentag setzen, das er braucht: Wir sind in Gottes Liebe verbunden. Nichts kann uns trennen.