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Kirchenbücher: Auf den Spuren der eigenen Geschichte

Kirchenbücher können helfen, die eigenen Wurzeln zu entdecken. Jens Müller, Leiter der Kirchenbuchstelle, gibt einen Einblick in das Landeskirchliche Archiv in Berlin-Kreuzberg.

Tausende Kirchenbücher lagern im Landeskirchlichen Archiv
Tausende Kirchenbücher lagern im Landeskirchlichen ArchivConstance Bürger

Kürzlich besuchte eine Frau aus Südamerika das Landeskirchliche Archiv in Berlin-Kreuzberg. Sie wollte mehr über ihren Großvater aus Deutschland erfahren. Bei solchen genealogischen Anfragen – also Fragen rund um Ahnen- und Familienforschung – dient Jens Müller als Wegweiser. Der Historiker informiert, wo und wie strategisch am besten gesucht werden kann. Denn einfach ist die Suche nicht, da die Kirchenbücher chronologisch und nicht alphabetisch geordnet sind.

Jens Müller leitet die Kirchenbuchstelle im Landeskirchlichen Archiv in Berlin-Kreuzberg. In den Magazinen sind tausende Kirchenbücher aus Berlin und Brandenburg sortiert und gelagert, teilweise reichen sie bis ins 17. Jahrhundert zurück. Sie dokumentieren kirchliche Amtshandlungen wie Taufe, Trauung und Bestattung, manchmal auch Konfirmation oder Abendmahlsbesuche. Und sie erzählen noch mehr: zum Beispiel über Berufe der Täuflingseltern, Name der Paten und Taufspruch.

Manchmal helfen Kirchenbücher auch in Rechtsfällen

Seit 2023 ist Jens Müller im Landeskirchlichen Archiv der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) tätig. Hier siegelt und stempelt er: Auszüge aus den Kirchenbüchern gelten als offizielle Rechtsquelle. Bis 1874 gab es im Deutschen Reich keine Standesämter. Der einzige rechtliche Nachweis über Geburt, Taufe, Eheschließung und Tod einer Person stand bis dato im Kirchenbuch. Falls es also bei einem Rechtsfall keine standesamtliche Urkunde gibt, gilt die Urkunde über die kirchliche Amtshandlung. Daher erreichen Jens Müller viele offizielle amtliche Anfragen.

Jens Müller leitet die Kirchenbuchstelle im Landeskirchlichen Archiv.
Jens Müller leitet die Kirchenbuchstelle im Landeskirchlichen Archiv.Constance Bürger

Dabei geht es zum Beispiel um Erbschaftsfälle oder auch Staatsbürgernachweise wie zum Beispiel bei der Frau aus Südamerika. Sie suchte einen Nachweis, der zeigte, dass ihr Großvater in Berlin geboren und getauft wurde. Mit solchen Anliegen sind Interessierte auch auf der Online-Plattform Archion gut aufgehoben. Gegen eine Gebühr hat man Zugriff auf mehr als 175.000 Kirchenbücher aus ganz Deutschland und kann Auszüge herunterladen.

Jens Müller arbeitet ausschließlich mit diesen sogenannten Digitalisaten. Seit den 1930er Jahren filmten Experten die Kirchenbücher in Berlin ab. Seit 2018 tragen die Pfarrämter in der EKBO die Daten zu den kirchlichen Amtshandlungen ausschließlich in digitale Formulare ein.

Jens Müller ist Experte im Handschriftlesen

Jens Müller war lange als freiberuflicher Familienforscher im Auftrag von US-Amerikanern, Australiern und Deutschen unterwegs. Teilweise begleitete er sie auf Reisen nach Sachsen, Vorpommern oder in die heutigen Westgebiete von Polen. Viele Akten dort sind auf Deutsch. Die Einträge, auch die in den Kirchenbüchern, sind oft schwer zu lesen: Die Schrift ist sehr klein und dazu in der für uns ungewohnten Kurrentschrift. Jens Müller ist dafür Experte: Der Historiker hat schon Kurse für Studierende im Handschriftlesen gegeben.

Die Informationen in den Kirchenbüchern seien „ein Tor zu einem ganz anderen persönlichen Verständnis von Geschichte“, sagt Jens Müller. Sie lösen oft weitere Fragen aus: Auf welchem Hof haben meine Vorfahren gelebt, in welcher Kirche sich trauen lassen? Da werde Alltagsgeschichte erfahrbar, die oft in den großen Geschichtsbüchern gar nicht drinstehen.