Die Kirche insgesamt ist mit rund 1,3 Millionen Beschäftigten nach dem öffentlichen Dienst die zweitgrößte Arbeitgeberin in Deutschland. Auf evangelischer Seite bilden die vielen Gliedkirchen einen wahren arbeitsrechtlichen Flickenteppich. Als besonders fortschrittlich darf hier unsere Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesischer Oberlausitz (EKBO) gelten, die neben der Nordkirche als einzige einen Tarifvertrag eingeführt hat.
Für alle anderen Beschäftigten kommen je nach Konfession oder Dienststelle, Bistum oder Landeskirche die verschiedensten Regelwerke zur Anwendung, die auf dem sogenannten Dritten Weg zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden ausgehandelt werden. Im Sinne der sogenannten „Dienstgemeinschaft“ sind in allen Kirchen Arbeitskampfmaßnahmen als Mittel in Tarifverhandlungen ausgeschlossen.
Erwartungen und Enttäuschungen
Ist denn so ein kirchlicher Arbeitsplatz ein Vorgriff aufs Paradies, ein Hort des respektvollen und friedfertigen Umgangs, der exemplarisch wäre für nichtkirchliche Arbeitsstellen? Wohl eher nicht. Diese Erwartungshaltung führt bei Neueinsteiger*innen im kirchlichen Dienst oft zu herben Enttäuschungen.
Vielmehr ist es so, dass es auch in unserer Landeskirche viel öfter „menschelt“, als dass es göttlich zuginge. Gerade der Anspruch eines christlichen Miteinanders sorgt dafür, dass die Kluft zwischen Ambition und Realität nur noch deutlicher wahrgenommen wird. Oder er wirkt wie ein Katalysator für Selbstausbeutung und überzogene Erwartungen seitens der Arbeitgebenden, so dass der Begriff der Dienstgemeinschaft zur moralischen Keule zu mutieren droht.
Wie steht es um die Rahmenbedingungen?
Längst konkurriert die Arbeitgeberin Kirche mit anderen um die begehrten Fachkräfte. Dass sich das Blatt auf dem Arbeitsmarkt zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewendet hat, ist in den Köpfen vieler Arbeitgebender noch nicht ausreichend verankert. Gut ausgebildete Menschen können sich inzwischen aussuchen, wo sie arbeiten möchten, und die Bereitschaft nimmt stetig zu, auf der Suche nach besseren Konditionen auch häufiger den Arbeitsplatz zu wechseln.
So sind die Arbeitgebenden gefordert, für gute Rahmenbedingungen zu sorgen, innerhalb derer die Mitarbeitenden gern zur Arbeit kommen. Themen wie Mobiles Arbeiten, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Work-Life-Balance, Gesundheitsvorsorge, Job-Rad und vieles mehr werden von Arbeitnehmenden mittlerweile als selbstverständlich vorausgesetzt. Daher sollten sich unsere Landeskirche und ihre Dienststellen diese Dynamik proaktiv zunutze machen, sonst wird es künftig immer schwerer, offene Stellen adäquat und dauerhaft zu besetzen.
Ehrlich und ergebnisoffen sein
Wie aber kann ein solcher Prozess gelingen? Technisch ausgedrückt: Um sinnvolle Anpassungen an einem System vornehmen zu können, muss das zugrunde liegende Modell an den relevanten Stellen einen hohen Wahrheitsgehalt aufweisen. Übersetzt bedeutet das: Nur wer sich ehrlich macht und ergebnisoffen analysiert, wo die eigenen Stärken und Schwächen liegen, kann zielgenau Veränderungen herbeiführen. Der Philosoph Friedrich Nietzsche (1844–1900) hat das so formuliert: „Jede unausgesprochene Wahrheit wird giftig.“
Ebendiese an die Kirche als Arbeitgeberin gerichtete Erwartung, ein quasi geschützter (Arbeits-) Raum zu sein, bietet aber auch die große Chance, dieser Zuschreibung verstärkt gerecht zu werden. Insofern ist die Hoffnung durchaus berechtigt, dass der eingeschlagene Weg energisch weiterverfolgt wird und die Erkenntnis reift, dass sich signifikante Investitionen in gute und familienfreundliche Arbeitsbedingungen, einen vorbildlichen Arbeits- und Gesundheitsschutz und einen christlich-fairen Umgang zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden für alle Beteiligten auszahlen werden. Wir als Hauptmitarbeitendenvertretung sind für diesen gemeinsamen Weg bereit.
Martin Hildebandt (li.) ist Mitglied und Christian Reiß ist Vorsitzender der Hauptmitarbeitendenvertretung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz.