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“Junge Leute sind auf der Suche” – Autor Kordon wird 80 Jahre

Seine Helden entstammen Arbeiterfamilien der Weimarer Republik oder leben als Straßenjungen in Indien: Der Berliner Kinder- und Jugendbuchautor Klaus Kordon, der am 21.

Seine Helden entstammen Arbeiterfamilien der Weimarer Republik oder leben als Straßenjungen in Indien: Der Berliner Kinder- und Jugendbuchautor Klaus Kordon, der am Donnerstag 80 Jahre alt wird, ist ein großer Erzähler und ein echter Berliner – “mit Spreewasser getauft”, wie er selbst sagt. In seinen Büchern lernen Kinder – und Erwachsene – Geschichte ganz nebenbei.

Kordon wurde für sein Werk vielfach ausgezeichnet. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach mit ihm in Berlin über seine Kindheit, seine Flucht aus der DDR, den Sinn des Lesens – und den Ukraine-Krieg.

KNA: Herr Kordon, Sie haben einmal – mit den Worten Erich Kästners – gesagt, dass sich jeder Erwachsene etwas von seinem Kind-Sein bewahren sollte. Ist Ihnen das gelungen? Schließlich werden Sie 80 Jahre alt…

Kordon: Ich glaube ja, sonst könnte ich keine Kinder- und Jugendbücher schreiben. Man muss sich noch vorstellen können, wie eine Neunjährige denkt oder wie ein 17-Jähriger empfindet. Vielleicht liegt es auch ein bisschen daran, dass ich eine ziemlich schwere Kindheit und Jugend hatte. Ich glaube, dann erinnert man sich eher als jemand, der eine heile, glatte Kindheit hatte, in der alles geradegegangen ist und Vater und Mutter immer da waren.

KNA: Wären Sie auch Schriftsteller geworden, wenn Ihre Kindheit einfacher gewesen wäre?

Kordon: Ich glaube, das Talent, erzählen zu können und erzählen zu wollen, ist Veranlagung. Aber ich bin sicher, dass ich andere Bücher geschrieben hätte. So hat mich immer interessiert, warum mein Großvater im Ersten Weltkrieg gefallen ist. Warum musste mein Vater im Zweiten Weltkrieg sein Leben lassen? Das hat mich auch als Kind schon sehr bewegt.

KNA: Kriege der Vergangenheit sind ja auch in Ihren Romanen immer wieder Thema. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine herrscht in Europa wieder ein Krieg…

Kordon: Ja, damit hätte ich nie gerechnet. Und mir tut jeder Soldat leid, der in den Krieg ziehen muss – ich bin ja selbst im Krieg geboren und ein absoluter Kriegsgegner. Andererseits: So ein Unrecht kann man nicht zulassen, wenn ein Land einfach ein anderes überfällt. Dabei muss man sich aber klarmachen, dass es in jedem Land hervorragende und nicht so tolle Menschen gibt. Mich ärgert der Hass zwischen Völkern. Die russische Literatur, etwa die Romane von Tolstoi, liebe ich nach wie vor.

KNA: Ihr Bruder ist gestorben, als Sie 7, Ihre Mutter, als Sie 13 Jahre alt waren. Danach sind Sie in Heimen groß geworden. Woher haben Sie die Kraft genommen, nicht aufzugeben?

Kordon: Ich habe immer Leute gefunden, die mir geholfen haben. Es gab den Schneidermeister, der sich als Jude im Krieg jahrelang im Keller verstecken musste. Er hat mir Mut gemacht. Dann habe ich sehr früh, mit 18, meine Frau kennengelernt. Ich war nicht wirklich allein. Aber eine gewisse Stärke muss man wohl in sich haben. Und vielleicht kommt die Stärke aus den Büchern, die ich in den Heimen gelesen habe: Weltliteratur, Thomas Mann, Döblin, Fallada. Diese Autoren haben mich geprägt, sie waren so etwas wie meine Erzieher und haben mir vermittelt, wie man leben soll – wenn sich das jetzt auch ein bisschen dicke anhört.

KNA: In Ihrem autobiografischen Roman “Krokodil im Nacken” schildern Sie Ihren Fluchtversuch aus der DDR, der für Sie und Ihre Frau mit einer einjährigen Haft endet. Was war der Auslöser dafür?

Kordon: Viele kleine Sachen, aber eine große Sache war natürlich, dass ich schreiben wollte. Und zwar so, wie ich denke, und nicht so, wie Partei und Regierung das wünschten. Als meine Frau und ich das Hilfsangebot zur Flucht bekamen, haben wir lange überlegt. Aber dann haben wir es gemacht. Wir wussten: In der DDR haben wir keine Zukunft, hier gehen wir vor die Hunde.

KNA: Haben Sie es je bereut?

Kordon: In der Haft natürlich. Man macht sich Vorwürfe, was man den Kindern angetan hat, die kamen ja für zwei Jahre in ein Heim. Wenn wir heute darüber sprechen, sagen wir, wir haben damals einen hohen Preis bezahlt für unsere Freiheit, aber er war nicht zu hoch. Nur so konnten wir unser Leben aufbauen, wie wir uns das gewünscht haben. Und unsere Kinder auch.

KNA: Ihre Bücher sind sehr werteorientiert, Sie setzen sich für die Schwachen dieser Welt ein. Woher kommt diese Motivation?

Kordon: Es ist meine eigene Moral, die ich in meinen Büchern zum Ausdruck bringe. Ich kritisiere das, was ich nicht gut finde. Freue mich an dem, was ich schön finde, an dem Zusammenleben von Menschen, an Familie zum Beispiel. Ich fand es schon als Kind ungerecht, dass es den einen gut geht und den anderen schlecht.

KNA: Kann man Einfühlungsvermögen durch das Lesen von Büchern lernen?

Kordon: Ich glaube schon, dass Lesen auch eine soziale Komponente hat. Es schult die Fantasie, in jedem Kopf entsteht das Buch noch einmal neu. Man kann nicht lesen, ohne ein bisschen schlauer geworden zu sein.

KNA: Sie schreiben hauptsächlich historische Jugendromane oder Romane über ferne Länder. Das ist in der heutigen Zeit eher ungewöhnlich, Kinder- und Jugendliteratur ist vorrangig unterhaltend.

Kordon: Ja, viele Verlage scheinen nur aufs Verkaufen zu schielen. Aber man kann doch nicht immer nur Pudding servieren, von Pudding kriegt man doch keine Muskeln. Man muss auch mal etwas Handfestes essen, mal ein Steak oder so, an dem man auch mal kauen muss. Ich glaube, dass Bücher helfen können, mit der Wirklichkeit umzugehen. Man muss so viel verarbeiten in seinem Leben, gerade in der heutigen Zeit. Viele junge Leute sind auf der Suche.

KNA: Wie vermitteln Sie Geschichte in Ihren Büchern?

Kordon: Das geht nur über Emotionen. Wenn ich sage, in der Nazizeit sind sechs Millionen Juden ermordet worden, kann das ja gar keiner erfassen. Wenn aber einer einen Roman liest, leidet er mit den Figuren mit, kann etwas begreifen, kann sich etwas vorstellen.

KNA: In Ihrem Roman “1848” sagt ganz am Ende Frieder zu Jette: “Man muss es sich in seinem Leben schön machen.” Wie machen Sie es sich in Ihrem Leben schön – vor allem an Ihrem 80. Geburtstag?

Kordon: Ich bin kein großer Feierer. Vielleicht, weil ich schon als Kind meinen Geburtstag nicht groß gefeiert habe. Meine Mutter konnte ja ihre Kneipe deshalb nicht schließen. So habe ich nachmittags Kaffee getrunken mit meiner Tante und meinem großen Bruder und dann bin ich dann selbst auf Tour gegangen, ins Kino oder so. In diesem Jahr möchte ich mit meiner Familie zusammen ins Museum nach Potsdam fahren und mir eine Ausstellung über die Impressionisten anschauen.

KNA: Schreiben Sie noch?

Kordon: Ja, aber täglich nur noch etwa anderthalb Stunden, nicht mehr wie früher stundenlang. Zu einem 500-Seiten-Roman reicht meine Kraft nicht mehr. Pingelig bin ich aber immer noch. Ich möchte es so gut machen, wie es mein Talent zulässt. Gerade schreibe ich an einem kleinen Kinderroman, der im heutigen Berlin spielt und in dem Kinder verschiedener Herkunft die Protagonisten sind. Die Geschichte ist heiter – aber auch ein bisschen was zum Nachdenken.