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Julia Friedrichs: Über die Superreichen weiß man viel zu wenig

Die Autorin und Journalistin Julia Friedrichs fordert dazu auf, sich stärker mit der Welt der Reichen und deren Folgen für die Gesellschaft zu beschäftigen. Für ihr neues Buch „Crazy Rich“ sprach sie unter anderem mit Milliardären und Experten und besuchte ein Seminar mit Tipps zur Steuervermeidung für sehr reiche Menschen. Im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) spricht sie auf der Buchmesse in Frankfurt am Main über die Ungleichheit der Vermögen in Deutschland und die Rolle der Medien bei der Debatte darüber.

epd: Frau Friedrichs, Sie beschäftigen sich schon lange mit der ökonomischen Ungleichheit in Deutschland und haben darüber mehrere Bücher geschrieben. Wieso nun eines zu der nach Ihren Worten „geheimen Welt der Superreichen“?

Julia Friedrichs: Ich halte die Ungleichheit der Vermögen für ein zentrales Thema, mit dem wir uns dringend mehr beschäftigen müssten. Über die Superreichen weiß man viel zu wenig – zugleich sind das Menschen, die sehr großen Einfluss haben.

epd: Sie schreiben, dass hierzulande rund 3.300 Personen etwa 23 Prozent des gesamten Finanzvermögens besitzen. Und jedes Jahr würden etwa 250 bis 400 Milliarden Euro vererbt, der Staat nehme aber nur etwa zehn Milliarden Euro via Erbschaftssteuer ein – während regelmäßig Superreiche an Seminaren mit Tipps zur Steuervermeidung teilnehmen. Ich zitiere Sie: „Welches Ausmaß an Ungleichheit verträgt eine Gemeinschaft, verträgt die Demokratie?“

Friedrichs: Ich bin Reporterin und niemand, der sagt, so darf es sein, so darf es nicht sein. Was ich bei der Recherche aber sehe, ist, dass wir ein extrem großes Maß an Ungleichheit haben – eines, das größer ist als in anderen Ländern. Gleichzeitig haben wir uns entschieden, vor allem Arbeit und Menschen, die gut verdienen, zu besteuern. Auch jetzt wieder zieht die SPD mit Plänen zur Steuergerechtigkeit durch die Gegend, aber meint damit vor allem, Gutverdiener mehr zu besteuern. Um die Vermögen kümmert sie sich weiterhin nicht. Das ist ein Grundproblem in einer Demokratie, die sich als marktwirtschaftliche Leistungsgesellschaft sieht und in der jede Stimme gleich viel wert sein muss. Das sind sie aber nicht, wenn extrem reiche Menschen etwa viel mehr Möglichkeiten haben, ihren Wünschen an die Politik durch wirtschaftliche Macht Nachdruck zu verleihen. Ich kann keine Grenze der ertragbaren Ungleichheit benennen. Ich kann nur sagen: Die Ungleichheit der Vermögen in Deutschland ist extrem und wir sollten darüber reden, ob wir das so haben wollen oder nicht.

epd: Wo darüber reden?

Friedrichs: Überall. In den Familien, in den Unternehmen – und die Reichen müssen an diesen Gesprächen teilnehmen. Deshalb bin ich dankbar, dass extrem reiche Menschen mit mir geredet haben. Ich habe Respekt davor, sich diesen Fragen zu stellen: Wieso haben Sie mehrere Milliarden und andere nicht? Ganz viele extrem Reiche sagen jedoch, das sei ihre Privatangelegenheit. Aber das ist es bei diesen Summen nicht – weil diese reichen Menschen großen Einfluss darauf haben, wie wir zusammenleben. Ab einer gewissen Größenordnung von Geld, über das man entscheidet, sollte eine Art Verpflichtung zur Rechenschaft mit einhergehen. Es ist beispielsweise wichtig zu wissen, in welche Firmen investiert, wofür das Geld genutzt wird.

epd: Beispielsweise mit Blick auf die Klimakrise?

Friedrichs: Eine Superjacht verbraucht im Jahr so viel CO2 wie 1.400 Personen. Die Frage des Klimas nötigt uns dazu, die Frage des Reichtums neu zu betrachten. In Zeiten der Ressourcenbegrenzung kann man nicht mehr sagen, dass mehr Reichtum immer für alle besser wäre, weil wir wissen: Mit Vermögen steigt der C02-Verbrauch exponentiell an. Wenn wir etwa über nötigen Verzicht sprechen, ist es schwierig, gleichzeitig einer sehr kleinen Gruppe der Bevölkerung zu erlauben, von den noch bestehenden Ressourcen einen sehr großen Teil zu beanspruchen. Ich finde es absurd, wie lange es gelungen ist, die Schuld für die Klimakrise ausschließlich bei den Ärmeren zu suchen.

epd: Welche Rolle spielen die Medien beim Gespräch über Ungleichheit?

Friedrichs: In der Tat ist es oft so, dass das Schreiben und Sprechen über Reichtum nicht sehr informiert ist. Sowohl in Teilen der Politik, als auch in Teilen der Berichterstattung. Oft werden etwa Einkommen und Vermögen durcheinander geworfen. Auch wird oft von „den Familienunternehmern“ gesprochen, die das Rückgrat unserer Gesellschaft seien, ohne dass geklärt ist, was hinter diesem Begriff steckt. Bei den sehr reichen Familien ist häufig das Unternehmen der Ursprung des Vermögens, aber viele führen das Unternehmen längst nicht mehr selbst, sondern verwalten Vermögenswerte. Wir müssen präziser werden bei dem, worüber wir reden.

epd: Medial wird über das Bürgergeld und deren Empfänger seit Monaten teils heftig diskutiert, über die Superreichen und deren Steuervermeidung sieht man selten Schlagzeilen. Spielen Medien hier nicht eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung des Diskurses?

Friedrichs: Debatten über das Bürgergeld sind den Leuten oft näher. Ich habe sehr lange Menschen begleitet, die total wenig verdienen. Die haben sich sehr an den Bürgergeld-Empfängern abgearbeitet, das waren sozusagen ihre „Feinde“. Natürlich verstärken Medien so etwas – aber sie verstärken etwas, das ohnehin schon da ist. Wir sehen auch in Studien das Phänomen der schiefen Solidarisierung. Also dass oftmals die, die sehr wenig haben, die Privilegien der Reichen engagiert verteidigen, weil sie vielleicht glauben, selbst einmal in der Lage zu sein. Oder weil sie der Legende anhängen, dass der Reichtum von wenigen am Ende allen nützen wird, was empirisch widerlegt ist. Der Reichtum sickert nicht nach unten durch. Ich finde schwer zu sagen, die Medien würden eine Debatte entstehen lassen, denn die Debatte ist schon bei den Menschen. Außerdem wissen wir kaum was über Milliardäre, insofern ist das nichts, worüber man sich im Alltag so leicht empört wie über den Nachbarn, der Geld vom Amt kassiert und nebenher noch steuerfrei arbeitet.