Der Historiker Alexander Friedman sieht nach den Angriffen der Hamas auf Israel die Gefahr eines blutigen sowie langen Kriegs und damit auch eine wachsende Terrorgefahr in Europa. Die israelische Gesellschaft sei fest entschlossen, die Hamas in einer militärischen Bodenoperation endgültig zu zerstören, sagte der gerade aus Israel zurückgekehrte Wissenschaftler am Dienstagabend in Saarbrücken.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu übernehme keine Verantwortung für politische und militärische Fehler, die den Hamas-Terror erst möglich gemacht hätten. „Er versucht den starken politischen Führer zu spielen, hat aber kein Interesse an der Aufarbeitung der Versäumnisse“, kritisierte Friedmann, der unter anderem Lehrbeauftragter an der Universität des Saarlandes und an Sciences Po Paris in Nancy ist. Doch es sei für die israelische Gesellschaft unausweichlich, die Angriffe aufzuarbeiten und politische Konsequenzen daraus zu ziehen. Bis zum 7. Oktober war das Land nach seiner Einschätzung politisch gespalten, nun aber sehr entschlossen.
Der schon oft politisch totgesagte dienstälteste Ministerpräsident Netanjahu werde spätestens nach dem Ende des jetzigen Kriegs abtreten müssen, sagte Friedmann. „Aber er will wenigstens als Sieger über die Hamas dastehen.“
Auf die Frage, wie es zu den überraschenden Angriffen vom 7. Oktober kommen konnte, nannte der Referent „Fehleinschätzungen, Überschätzungen, Wunschdenken“. Die Terrororganisation profitiere nach wie vor von Waffenschmuggel: Syrien, Libyen, Nordkorea, Russland und vor allem der Iran würden dafür sorgen, dass Rüstungsgüter in Gaza ankommen.
Der Tag der Überfälle 50 Jahre nach dem Jom-Kippur-Krieg ist nach Aussage des Historikers ein bewusst gewähltes Datum. Israel hat diesen Krieg 1973 zwar gewonnen, aber für seine Feinde sei es eine „Niederlage mit Hoffnung“ gewesen: die Hoffnung, dass der jüdische Staat nicht unbesiegbar sei.
Zu den Profiteuren des Kriegs gegen Israel zählte Friedman Russland: „Moskau ist an Unruhen in Deutschland interessiert, weil sie vom Ukrainekrieg ablenken.“ Das gelte auch für eine neue Flüchtlingskrise an den Außengrenzen der EU, deren Destabilisierung Russland nützen würde. Die russische Propaganda bediene mit Vergleichen zwischen Israel und Nazideutschland palästinensische Sympathien.