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Islam: Gewalt oder Barmherzigkeit?

Ein Historiker und ein Theologe in der Auseinandersetzung: Hat der Koran ein Gewaltproblem? Kann sich der Islam an die Moderne anpassen? Der Historiker sagt: Nein. Der Theologe hat Hoffnung. Eine Reform – da sind beide einig – wäre dringend nötig

Die Gegensätze könnten kaum größer sein: Der deutsch-ägyptische Historiker Hamed Abdel-Samad hält den Islam für gewaltfördernd und Mohammed für einen Terroristen. Der Münsteraner Theologe Mouhanad Khorchide dagegen versteht den Islam als „Religion der Barmherzigkeit“ und macht sich für eine friedensbejahende Lesart des Korans stark. Respektvoll, doch ohne Abstriche an ihren Positionen, diskutierten sie in Berlin über das Problem der Gewalt im Islam, die Rolle Mohammeds, ihr Koranverständnis und die Herausforderung durch den sogenannten Islamischen Staat.

Der aus Ägypten stammende Islamkritiker Abdel-Samad und der im Iran aufgewachsene Islamwissenschaftler Khorchide sind sich einig, dass der Islam einer Reform bedarf. Das aber ist, abgesehen von persönlicher Sympathie füreinander,  fast schon alles Gemeinsame. Denn Abdel-Samad hält den Islam für nicht reformierbar, Khorchide dagegen sehr wohl. Der Theologe, der an der Universität Münster Pädagogen für den islamischen Religionsunterricht ausbildet, macht sich für einen „Europäischen Islam“ stark und für eine  historisch-kritische Lesart des Korans. Als Kern des Islams sieht er nicht Regeln und Verbote, sondern Allahs Barmherzigkeit.
Ihre unterschiedlichen Sichtweisen haben beide Kontrahenten in einem Buch zusammengefasst, das der Herder Verlag im Haus des „Börsenvereins des Deutschen Buchhandels“ win Berlin vorstellte. Sein Titel: „Zur Freiheit gehört, den Islam zu kritisieren“. Stefan Orth, Redakteur der „Herder Korrespondenz“, stellt darin beiden Autoren Fragen nach ihrem Verständnis des Korans, dem Problem der Gewalt im Islam, der Rolle des Mohammeds und den Chancen einer liberalen europäischen Islamtheologie. Besonderen Raum nimmt der Streit ein, ob der Islam ein Gewaltproblem hat und Gewalt durch Mohammed selbst legitimiert wird.
Die oft gehörte Behauptung, der heutige Terror von Islamisten habe nichts mit dem Islam zu tun, hält Abdel-Samad für falsch. „Mohammed wurde erst durch Gewalt erfolgreich“, sagt er und spitzt diese These zu:. „Der Islam hat kein Problem mit der Gewalt– aus einem einfachen Grund, weil der Islam und die Gewalt von Anfang an beste Freunde waren.“ Khorchide kann das so nicht stehen lassen . Er rät zur Differenzierung: „Eine bestimmte Lesart des Islam hat auf jeden Fall ein Gewaltproblem. Wir dürfen aber nicht pauschalieren.“ Aussagen, die den Islam durchweg als friedlich oder durchweg gewaltfrei darstellen wollten, gingen an der Realität vorbei. Khorchide sieht seine Aufgabe als Islamtheologe heute darin, sich für die friedensbejahende Lesart des Islam starkzumachen.
Von solcher Differenzierung will Abdel-Samad nicht viel wissen. „Meiner Ansicht nach ist das ein sehr schönes Ablenkungsmanöver, zu sagen, dass es den einen Islam nicht gebe, sondern nur unterschiedliche Lesarten“, meint er. Den einen Islam gebe es schon: Er habe einen Kern, eine Gründungsfigur: Mohammed. Und dieser habe allein in seinen letzten acht Lebensjahren mehr als 80 Kriege und Feldzüge geführt. Verschiedene Passagen des Koran verherrlichten eindeutig die Gewalt. „Kein Mensch kann ernsthaft behaupten, dass dieser Prophet ein friedlicher Prophet war.“
Khorchide setzt dagegen, die Wissenschaft wisse bisher sehr wenig über Mohammeds Leben. Viele Details der Biographie des Propheten seien erst mehrere Generationen nach seinem Tod festgehalten worden. Zwischen dem Koran und der Biographie Mohammeds müsse unterschieden werden. Man dürfe auch keine einzelnen Textstellen aus dem Koran herauspicken und aufgrund dieser feststellen: Das ist der Islam. Es gelte, in jedem Text den dahinterliegenden Geist zu erkennen. Im Koran sei dies der Geist der Barmherzigkeit. „Alles, was damit nicht vereinbar ist, müssen wir verwerfen.“
Abdel-Samad hält dagegen: Der Geist des Korans sei nicht die Barmherzigkeit, sondern die Ausgrenzung gegenüber Ungläubigen und der Aufruf zur Gewalt gegen Juden und Christen. Angesichts der Salafisten, die sich auf die negativen Verse beriefen, um Gewalt und Ausgrenzung zu begründen, reiche es nicht aus, die positiven Verse hervorzukehren und daraus ein humanistisches Konzept zu schmieden. Auf dem Weg in die Moderne müsse man sich vielmehr von durchaus authentischen Teilen des Korans trennen.
Trotz ihrer Kontroversen wünschte Abdel-Samad Professor Khorchide und seinem Konzept vom barmherzigen Islam Erfolg. Wenn er damit auch seine fundamentalistischen Gegner und die konservativen muslimischen Dachverbände überzeuge, verspreche er, künftig keine islamkritischen Bücher mehr zu schreiben.

Buchtipp: Hamed Abdel-Samad/Mouhanad Khorchide: Zur Freiheit gehört, den Koran zu kritisieren, 127 Seiten, Herder Verlag, 14,99 Euro.