Artikel teilen:

Impfen statt Schimpfen

Post aus dem Impfzentrum

Von Eckart Wragge

Mit dem vom Senat bezahlten Taxi fuhr ich zur ­Messehalle 21 in Berlin. Dort sollte sich entscheiden: impfen lassen oder nicht. Nachdem ich mir unter den vielen Helfern und Helferinnen einen jungen Mann ausgesucht hatte, erwartete mich eine Begegnung, die ich nicht vergessen werde. Mein Begleiter führte mich durch die riesige, in Boxen eingeteilte Messehalle. Er tat es nicht stumm, sondern erzählte mir von sich.

Langsam legte sich meine Aufregung vor dem Impfen nach all dem Schimpfen über das Virus in Stadt und Land. Er half mir durch seine Anwesenheit. Ich ließ mich von ihm führen. Allein hätte ich den Weg zum Arzt nicht gefunden. Der junge Mann hatte zunächst Germanistik auf Lehramt studiert. Aber der Computer hielt ihn davon ab, mit Menschen zu arbeiten. Er wechselte das Fach und studierte nun Sozialarbeit. Als Schüler hatte er das Evangelische Gymnasium Neukölln besucht, mit Religion als Leistungsfach.  Er wollte es lebendig. Seinen Job in Halle 21 verstand er als Praktikum.

Schließlich landeten  wir beim Impfarzt. Ich kam in eine der Boxen hinter den Vorhang. Nun sollte ­passieren, was ich fürchtete: das Impfen, über das ich oft geschimpft hatte. Mein Begleiter musste mich verlassen. Würde ich ihn wiedersehen? Ich fühlte mich allein, von allen guten Geistern verlassen. Es bleibt ein Risiko, sich mit dem gerade erst zusammengemixten Impfstoff impfen zu lassen. Du spürst das Wagnis. Du verstehst, warum viele Menschen das Wagnis nicht eingehen.

Der Arzt informierte mich. Er zog die Spritze mit Biontech auf. Noch konnte ich gehen. Doch ich entschied mich fürs Impfen. Riesengroß erschien das Wort „Risiko“ an der Wand. Dann kam es zum Schwur. Mit der großen Spritze injizierte er mir das „Wundermittel“ oben in meinen linken Arm. Aber es war doch  mein  Körper, mit von Gott geschenkten wunderbaren Werkzeugen! Ich fühlte mich verwundet. Ich wusste nicht, wohin der Tanz mit dem Virus  noch führen würde.

Freundlich lächelte mir der Arzt zu. Er schob mich aus der Box in die riesige Messehalle. Ich war allein und wusste das giftige Zeug in meinem Körper. Zu meiner Überraschung traf ich draußen meinen Studenten ­wieder. Er hatte auf mich gewartet. Wieder hörte ich seine sanfte Stimme: „Wie geht es Ihnen?“ Ich blühte auf. Ich hatte Mut bewiesen und, was viel wichtiger war: Ich war einem Menschen begegnet. Er verabschiedete sich und verschwand  langsam in der Tiefe der Messehalle 21.