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Ihr Flaschengeist regiert ein Imperium

Vor 175 Jahren starb die Klosterfrau Maria Clementine Martin. Vieles am Leben der einstigen Ordensschwester ist unklar. Doch das Firmenimperium um ihren Melissengeist als Wichtigstem der rund 200 Produkte blüht bis heute

Sie war eine Herumgeschobene der unruhigen Geschichte zwischen dem Ende des Ancien Régime und den Befreiungskriegen gegen Napoleon. Doch sie machte das Beste draus. Nach der Auflösung ihres Klosters musste die Ordensschwester sehen, wo sie blieb. Sie machte sich selbstständig, stellte sich klug an und begründete ein Firmenimperium. Die Geschichte der Klosterfrau Maria Clementine Martin, die am 9. August 1843, vor 175 Jahren, starb.
Aus der Kleinanzeige in der „Kölnischen Zeitung“ vom 6. November 1825 konnte weiß Gott niemand lesen, was daraus entstehen würde: Ein sich selbst empfehlendes echtes Kölnisch Wasser ist da zu haben. „Auf der Litsch No. 1, die große Fla-sche zu sechs Silbergroschen und drei Pfennig.“ In diesen Monaten lebte Maria Clementine Martin im Haus eines 86-jährigen Domkapitulars, den sie wohl pflegte.
Ihre Annonce in der damals auflagenstärksten Zeitung der preußischen Rheinlande schlug offenbar durch, denn schon wenige Monate später wurde die Firma „Maria Clementine Martin Klosterfrau“ ins Kölner Handelsregister eingetragen. Ihre Produkte: Kölnisch Wasser – und „Ächtes Spanisches Carmeliter-Melissenwasser“.
Bis dahin hatte die 50-Jährige schon ein für die damalige Zeit durchaus bewegtes Leben hinter sich. 1775 als Tochter eines Offiziers in Brüssel geboren, zog sie 1783 mit der Familie nach Jever in Ostfriesland. Mit 17 Jahren trat die junge Frau mit dem Geburtsnamen Wilhelmine Martin im Oktober in das Annuntiatinnenkloster in Coesfeld ein – das freilich im Zuge der Französischen Revolution 1803 aufgehoben wurde. Auch ihr nächstes Kloster bei Gronau wurde 1811 aufgelöst. Schwester Maria Clementine blieb nun nur noch eine kleine Leibrente als Entschädigung.
Ihr Weg führte sie nach Tirlemont bei Brüssel – und dann womöglich auf das Schlachtfeld von Waterloo, wo sie Verwundete der preußischen Armee von Generalfeldmarschall Blücher gepflegt haben soll. War es tatsächlich auf dem Schlachtfeld selbst oder in einem Lazarett in der Umgebung? Jedenfalls erhielt sie vom preußischen König eine Leibrente von 160 Talern jährlich. Damit war sie zumindest der gröbsten Existenzsorgen ledig.
Es folgten, nach eigenen Angaben, Jahre in einem Brüsseler Karmel (Karmel, abgeleitet von hebräisch „kerem el“ = Weingarten Gottes“, bezeichnet ein Kloster des Ordens der Karmeliten und Karmelitinnen, Anmerkung der Redaktion)sowie in einem Haus des Domkapitels von Münster. Dort ermittelten die Behörden wegen Pfuscherei und Quacksalberei gegen sie. Sie selbst erklärte dazu, sie habe im Kloster ein Heilverfahren gegen Fisteln und Krebsschäden erlernt.
In Köln schließlich gelang ihr der Coup ihres Lebens – und das, obwohl der Markt für Kölnisch Wasser durchaus umkämpft war. Martin verbreiterte ihre Produktpalette und nutzte geschickt ihr Image als „Klosterfrau“. Schon bald kopierten Trittbrettfahrer ihr Etikett. Markenschutz im heutigen Sinne gab es noch nicht in der noch jungen Ge-werbefreiheit. Immerhin erwirkte sie durch Intervention beim König einen nicht zu unterschätzenden Wettbewerbsvorteil, der anderen, auch prominenten Mitbewerbern versagt blieb: Ab Ende 1829 durfte sie als einer von nur wenigen Kölner Betrieben den Preußenadler auf ihre Produkte drucken. Den traute sich so schnell keiner zu imitieren.
Auch im Übrigen führte sie den Konkurrenzkampf mit durchaus harten Bandagen. Wiederholt verklagte sie Mitbewerber für Geschäftspraktiken, derer sie sich so oder ähnlich selbst bediente.
Ob sie sich tatsächlich auch als katholische Aktivistin und Verfasserin anonymer Droh- und Schmähschriften gegen die preußischen Behörden betätigte, nachdem 1837 der Kölner Erzbischof Clemens August Droste zu Vischering verhaftet und unter Hausarrest gestellt worden war, muss offen bleiben. Polizeidirektor Heister hatte sie zumindest schwer in Verdacht. Und tatsächlich hatte sie in mehreren Briefen dem Publizisten Joseph Görres ihr Herz ausgeschüttet und über die Leiden der Katholiken am Rhein geklagt.
Zugleich zeigte sie sich gegenüber den Kölnern mildtätig. Am Ende ihres Lebens hatte das „Klosterfrau“-Unternehmen bereits Filialen in Bonn, Aachen und Berlin. Kurz vor ihrem Tod vermachte sie die Firma ihrem ersten Gehilfen von einst und engsten Mitarbeiter, Peter Gustav Scheeben, „im Vertrauen, dass er die seither bewiesene fromme Gesinnung sein Leben hindurch treu bewahren werde“.
Maria Clementine Martin, einst Ordensschwester in Belgien und Westfalen, wurde auf dem Kölner Melatenfriedhof beigesetzt, unter großer Anteilnahme der Bevölke-rung. Ihr Unternehmensimperium heißt heute „Klosterfrau Healthcare Group AG“ mit Sitz in Zürich. Es hat mehr als 1000 Mitarbeitende und setzt weit über eine halbe Milliarde Euro jährlich um. Wichtigstes der rund 200 Produkte ist bis heute der „Klosterfrau Melissengeist“. Nie war er so wertvoll wie heute.