Ilona Yefimova macht sich Notizen auf einem Arbeitsblatt. Gemeinsam mit weiteren Frauen und einem Mann aus der Ukraine und dem Irak übt sie Vokabeln. Im Deutschkurs des Migrationszentrums „Hope“ der Diakonie in Neustadt am Rübenberge geht es an diesem Tag um Themen rund um die Gesundheit. Konzentriert, fast ernst, sind alle bei der Sache. Dann wieder lachen sie gemeinsam mit Sprachlehrerin Heike Przewalla. Ilona Yefimova hofft, dass der Sprachkurs ihr hilft, in Deutschland Fuß zu fassen.
Die 36-Jährige hat ihre Heimatstadt Dnipro zwei Monate nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor knapp zwei Jahren verlassen und ist nach Deutschland geflohen. Sie ist eine von rund 1.140.000 ukrainischen Geflüchteten, die nach Angaben des Bundesamtes für Migration seit Kriegsbeginn nach Deutschland gekommen sind. „Meine Wohnung ist kaputt“, erzählt die Frau mit den braunen Haaren. Eine Rakete habe das Dach des zwölfstöckigen Wohnhauses in der viertgrößten Stadt in der Ukraine zerstört.
Ilona lebt jetzt mit Mann in Neustadt am Rübenberge
Sie vermisst ihre Familie und Freundinnen. Manche seien noch in der Ukraine, ihre beste Freundin lebe inzwischen auch in Deutschland. In ihrer Heimatstadt war die 36-Jährige Personalmanagerin. „Wir haben hart gearbeitet und lange studiert. Wir hatten eine gute Profession. Hier sind wir ein Niemand“, sagt sie auf Englisch mit deutschen Einsprengseln. „Wir hatten viele Pläne, eine gute Wohnung. Zweimal im Jahr haben wir die Welt bereist“, fügt sie mit Tränen in den Augen an. „Hier starten wir bei null.“
Wie viele ihrer Landsleute hat sie gehofft, dass der Krieg schnell vorübergeht. Deshalb hat sie erst noch gewartet, bevor sie den Deutschkurs belegt hat. Jetzt kommt sie gleich dreimal in der Woche, zusätzlich besucht sie einen Kurs an der Volkshochschule. „Ich mag Deutschland“, sagt sie. „Aber ich liebe meine Heimat.“
Die ukrainische Psychologin Olena Gorodyska berät in Neustadt die Geflüchteten aus ihrer Heimat. Der andauernde Krieg löse Gefühle der Machtlosigkeit aus, sagt sie. Manche hätten damit gehadert, ob sie nicht in der Ukraine hätten bleiben und dort hilfreich sein sollen. „Am Anfang dachten wir alle, dass es nur eine Frage von Monaten sei.“ Jetzt zeige sich die Realität. Gleichzeitig beobachte sie, dass sich viele aus dem Gefühl der Starre befreien und die Zeit in Deutschland nutzen wollen.
Unterstützung gibt es im Migrationszentrum „Hope“
Auch Ilona Yefimova fragt sich mittlerweile, wie ihr Leben in Deutschland aussehen kann. Im Migrationszentrum „Hope“ lässt sich die 36-Jährige beim Ausfüllen von Formularen helfen. Dort unterstütze sie Migrationsfachberater Joseph Sebuh, damit ihr Diplom in Deutschland anerkannt wird, erzählt sie. „Ich möchte so schnell wie möglich die Sprache lernen und anfangen zu arbeiten“, sagt Yefimova. Im Kurs fragt Lehrerin Heike Przewalla: „Bei was hilft Salbei?“ Yefimova antwortet als Erste: „Das ist für den Hals.“
Viele der Menschen, die in den Treffpunkt kommen, treiben nach den Erfahrungen von Olena Gorodyska dieselben Fragen um. Kann ich in diesem Land bleiben oder nicht? Kann ich mich gut integrieren oder nicht? Ist meine Ausbildung ausreichend, um in Deutschland anerkannt zu werden? „Wenn du in neues Land kommst, fühlst du dich allein, du fühlst dich unsicher, du fühlst dich verloren“, erläutert sie. „Es ist eine große Herausforderung.“
Zugleich bleibe die Sehnsucht nach der Heimat groß, erzählt Gorodyska. Ihr selbst gehe es auch so. Sie ist vor knapp zwei Jahren aus Kiew nach Deutschland geflohen. „Ein Teil meines Lebens endete am 24. Februar 2022, jetzt ist es ein anderes Leben“, sagt sie. „In einer Sekunde, um 5 Uhr 30 am Morgen, haben wir alles verloren“, beschreibt sie, wie sie den Moment erlebt hat, in dem Russland die Ukraine angegriffen hat. „Selbst wenn ich zurück in der Ukraine bin, wird mein Leben nicht dasselbe sein“, sagt die Psychologin. Sie hofft, eines Tages wieder nach Hause zu können. Auch Yefimova möchte zurück in die Ukraine. „Wenn der Krieg vorbei ist“, sagt sie.