Die EKBO war nicht immer so offen für Homosexuelle wie heute. Ist ein Schuldeingeständnis angebracht?
Von Sibylle Sterzik
„Wenn ich erfahre, dass Sie im Pfarrhaus wohnen, bekommen Sie ein Disziplinarverfahren.“ Diese Androhung erhielt Pfarrer Jörg Zabka im Jahr 2000 von dem damaligen Personaldezernenten im Evangelischen Konsistorium. Er durfte als schwuler Mann nicht ins Pfarrhaus seiner Gemeinde, der Martin-Luther-Gemeinde in Berlin-Lichterfelde, ziehen. Bis heute wohnt er gegenüber.Jörg Zabka und Alexander Brodt-Zabka waren das erste Pfarrerpaar in der Landeskirche, das 2006 eine eingetragene Lebensgemeinschaft einging und das gegenüber ihren Kirchen anzeigte. Andere ließen ihre Partnerschaft auch eintragen, machten es aber heimlich, erinnert sich Jörg Zabka. Schwule und lesbische Theologiestudent*innen befürchteten, nicht ins Pfarramt übernommen zu werden. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, die Landeskirche seines Mannes, war damals schon deutlich weiter.Schon vor dem Theologiestudium in Ostberlin hatten Freunde Jörg Zabka gewarnt. „Du läufst mit dem Kopf gegen die Wand.“ Doch sein Entschluss stand fest. „Die Angst schwang jedoch immer mit“, sagt er. Vonseiten der Landeskirche hieß es: Ihr seid nicht ordinierbar. „Unsere Kirche will uns nicht – das hat uns damals sehr geprägt. “ Manche wurden nach einem Vier-Augen-Gespräch mit dem Generalsuperintendenten dann doch ordiniert, verschwiegen aber ihre Homosexualität.Jörg Zabka ging damit offen um. Beim Wehrdienst in der Nationalen Volksarme war er als Christ und Schwuler doppelter Außenseiter. „Aber so lernte ich, mich zu trauen und ich selbst zu sein.“ Zu DDR-Zeiten gehörte er zum Sprecherrat von „Schwule in der Kirche“, einer Initiative unter dem Schutz der Kirche. So lernte er die Kirche ambivalent kennen: Einerseits konnte man in ihr frei denken, andererseits erlebte er die Ausgrenzung von Homosexuellen. Als Zabka nach bestandenem Auswahlverfahren und den Examen 1995 und 1999 doch 2004 die Berufungsurkunde zum Pfarrer auf Lebenszeit erhielt, sagte derselbe Personaldezernent: „Ich wusste immer, dass Sie ein guter Pfarrer sind.“ Zabka erinnert sich aber noch an dessen Nachsatz: „Und die Ehe ist doch etwas Besseres.“
Homosexuelle diffamiertSeit April 2006 predigte Ulrich Parzany in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Er zog oft 300 Gäste an. Der CVJM-Generalsekretär und Evangelist des evangelistischen Vereins ProChrist geißelte in einer Predigt vom 18. Februar 2007 den heutigen Zeitgeist. Bis in die Christenheit hinein werde Gott sein Wort und Gebot im Munde herumgedreht. So gehöre „Ehebruch zum Partyspaß und homosexuelle Praxis zum Lebensstil“. Jörg Zabka protestierte gegen diese Diffamierung, schrieb an Bischof Wolfgang Huber vom Trägerkreis der Gottesdienstreihe. Statt theologisch Stellung zu nehmen und sich schützend vor die Angegriffenen zu stellen, ging dessen persönlicher Referent in der Antwort gar nicht auf die Sache ein. Er verwies auf Stellungnahmen von Gemeinde und Parzany, als seien dies gleichberechtigte Meinungen. Martin Germer dagegen, Pfarrer der gastgebenden Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirchengemeinde, bedauerte ausdrücklich die Aussagen und bat „diejenigen, die sich dadurch beschwert gefühlt haben, um Entschuldigung“. Das liegt keine 76 Jahre zurück wie die erste Frauenordination, sondern erst wenige Jahre. Und anders als bei den Frauen sind die Geschichten nirgends aufgeschrieben. „Ich bin stolz, dass meine Kirche inzwischen alle Paare gleichberechtigt traut“, sagt Jörg Zabka. Sein Mann und er brachten den Antrag mit auf den Weg. Drei Berliner Kirchenkreise und die Evangelische Jugend trugen ihn in die Landessynode, die 2016 mit einer Mehrheit von 85 Prozent dafür stimmte. Am 9. April beschloss die Landessynode das Kirchengesetz zur Gleichstellung von Gottesdiensten zur Segnung zweier Menschen in eingetragener Partnerschaft mit Traugottesdiensten. Damit war die EKBO die dritte Landeskirche, die Trauungen für gleichgeschlechtliche Paar ermöglichte. Bereits im November 2002 hatte die Landessynode die Möglichkeit von Andachten anlässlich der Eintragung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften eröffnet: „‚Andacht mit Fürbitte und Segenshandlung‘ hieß das ziemlich ungelenk“, so Alexander Brodt-Zabka.Nachdem der Bundestag ein Jahr später, im Juni 2017, die „Ehe für alle“ beschlossen hatte, erklärte der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung, damit gehe eine „lange Geschichte der Diskriminierung zu Ende“. Zudem stärke der Beschluss die Ehe „als Schutzraum einer verbindlichen und verantwortungsvoll gelebten Partnerschaft“. Die hessen-nassauische Heimat-Kirche von Alexander Brodt-Zabka war 2013 die erste Landeskirche in Deutschland, die die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare mit der Trauung heterosexueller Paare gleichstellte. Bereits vor der Entscheidung des Bundestages hatte der Rat der EKD die geplante Öffnung der Ehe für Homosexuelle begrüßt. „Ich habe keinerlei Diskriminierung erlebt“, sagt Brodt-Zabka dankbar im Blick auf seine Kirche. Und vermutlich geht er in Kürze mit seinem Mann nach Hessen-Nassau zurück, weil die EKBO keine Möglichkeit sieht, ihn zu für ihn annehmbaren Konditionen zu übernehmen. Liegt es daran, dass ihr ein schwules Paar seid?, fragen schon manchmal Freunde. „Dass Kirche schwulenfeindlich sei –wie sie es bis in die jüngere Vergangenheit ja auch tatsächlich war –, steckt noch in vielen Köpfen“, sagt Brodt-Zabka. Er ist im Kirchenkreis Berlin Stadtmitte für die Rückmeldungen auf Kirchenaustritte zuständig und hört das oft als Begründung.
Entschuldigung angebracht?„Ich bin mir sicher, dass meine Kirche mich nicht deshalb loswerden will“, sagt Jörg Zabka. Er erlebt viel Selbstverständlichkeit im Umgang mit Homosexualität. Hält er dennoch eine Entschuldigung wie die von Württembergs Bischof Frank Otfried July für nötig? Dieser hatte am 5. Juli 2019 in einer Andacht vor der Landessynode um Vergebung für das Unrecht gebeten, das von seiner Kirche an gleichgeschlechtlich orientierten Menschen begangen wurde. Als versöhnenden Akt wünscht Zabka sich das vor allem für Menschen, die nicht ins Pfarramt gehen konnten, aber auch für die Gläubigen, die in ihrer Kirche keine Heimat finden konnten. „Denen gegenüber würde ich es fair finden.“ Tatsächlich plant die EKBO ein Schuldeingeständnis, sagt Marion Gardei, Pfarrerin für Erinnerungskultur. „Es ist längst überfällig in Bezug auf das Verhalten der Amtskirche in der Nazizeit. Dort wurden homosexuelle Pfarrer unter Aberkennung der Ordinationsrechte entlassen und schutzlos der NS-Justiz ausgeliefert. Was Ausschluss und Diskriminierung Gleichgeschlechtlicher angeht, müssen wir aber auch die Zeit danach bis in die Gegenwart in den Blick nehmen.“ Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein, Berlin, begrüßt ein Schuldbekenntnis und ist „froh, dass sich die EKBO auf diesen Weg macht“.