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Hygiene-Museum präsentiert DDR-Geschichte

Die Sozial- und Kulturanthropologin Iris Edenheiser ist seit zwei Jahren Direktorin des Deutschen Hygiene-Museums Dresden (DHMD). Für 2024 planen sie und ihr Team eine Ausstellung über die Rolle des Museums in der DDR. Der Evangelische Pressedienst (epd) sprach mit ihr über das Vorhaben, begrünte Innenhöfe und ein Wandgemälde von Gerhard Richter.

epd: Frau Edenheiser, ein neues Museumsjahr steht bevor. Welche Projekte werden Sie präsentieren?

Edenheiser: Anfang März starten wir mit der Ausstellung „VEB Museum. Das Deutsche Hygiene-Museum in der DDR“, die sich mit der jüngeren Vergangenheit unseres Hauses beschäftigen wird. Sie ermöglicht die Auseinandersetzung mit einem wichtigen Kapitel der Institutions- und Zeitgeschichte. Danach präsentieren wir bis 2025 mit „The Air We Share“ wieder einmal eine Ausstellung, die ein naturwissenschaftliches und gleichzeitig gesellschaftlich relevantes Thema behandeln wird. Im Zentrum stehen die globalen politischen Dimensionen der Luft beziehungsweise der Atmosphäre, die von allen Atmenden auf unserem Planeten geteilt wird. Zudem wird es auch 2024 selbstverständlich ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm geben, darunter eine Fachtagung zum Thema „Museen und Demokratie“.

epd: Warum soll es eine Ausstellung zur DDR-Geschichte des Museums geben?

Edenheiser: Die Gegenwart verstehen wir nur, wenn wir uns mit Geschichte beschäftigen. Nicht-Aufgearbeitetes kann zum gefährlichen Wiedergänger werden: Fakt ist, dass sich viele Menschen mit ostdeutscher Biografie in der lange Jahre praktizierten staatlichen Erinnerungspolitik mit den eigenen Lebenserfahrungen nicht wiederfinden. Selbstverständlich ist die Aufarbeitung von SED-Herrschaft und DDR-Staatssicherheit richtig und weiterhin zwingend nötig. Dennoch muss diese Erinnerungsarbeit um eine Alltags- und Konsumgeschichte der DDR erweitert werden.

Die lebensweltlichen Erinnerungen von Ostdeutschen zu ignorieren und zur permanenten Selbstdistanzierung von der eigenen Biografie aufzurufen, führt zu Verdrängungen. Zudem wird DDR-Erinnerung vielfach politisch instrumentalisiert und missbraucht. Wir brauchen deshalb eine seriöse, glaubwürdige und reflektierte Bearbeitung dieses Teils deutscher Geschichte.

Das DHMD ist eine herausragende Institution, an der sich vieles exemplarisch aus der Arbeits- und Lebenswelt in der DDR erzählen lässt. Ich halte es für einen idealen Ort, von dem aus Potenziale der Transformation – an denen in den 90er-Jahren Ost und West gearbeitet haben – positiv erzählt werden können, ohne die schwierigen Seiten auszublenden.

epd: Welche Rolle spielte das Hygiene-Museum in der DDR-Zeit?

Edenheiser: Als staatliches „Institut für Gesundheitserziehung“ war das Deutsche Hygiene-Museum einerseits ein gut besuchter und populärer Ausstellungsort, an dem parallel dazu auch Gesundheitskampagnen, Lehrfilme und Broschüren entwickelt und hergestellt wurden. Neben dieser Funktion was es aber auch ein exportorientierter Produktionsbetrieb, der rund 100 Mitarbeitende beschäftigte, die anatomische Modelle und andere medizinische Lehr- und Aufklärungsmittel produzierten. Und nicht zuletzt war es auch ein Veranstaltungsort.

epd: Anlässlich der Ausstellung zur DDR-Geschichte des Museums soll ein Ende der 70er-Jahre übermaltes Wandbild von Gerhard Richter freigelegt werden. Details wollen Sie im Februar vorstellen. Aber wie kam es zu dem Projekt?

Edenheiser: Die Existenz des Wandgemäldes von Gerhard Richter im Deutschen Hygiene-Museum und seine Übermalung in den späten 70er-Jahren war seit Anfang der 90er-Jahre im Haus präsent. Bei unseren Überlegungen zur Sonderausstellung „VEB Museum“ haben wir uns die DDR-Geschichte unter verschiedenen Aspekten angeschaut, darunter auch die Architektur des Gebäudes in der Nachkriegszeit. Die partielle Freilegung des etwa 60 Quadratmeter großen Wandgemäldes soll die Kultur- und Zeitgeschichte des Museums sichtbar machen – auch über die Laufzeit der Sonderausstellung hinaus.

epd: Was sagt der Künstler Gerhard Richter zu Ihrem Vorhaben?

Edenheiser: Das Freilegungsprojekt erfolgt selbstverständlich im Einvernehmen mit Gerhard Richter und dem Gerhard Richter Archiv an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Über Einzelheiten werden wir Anfang Februar informieren.

epd: Sie sind seit zwei Jahren Direktorin am Deutschen Hygiene-Museum Dresden (DHMD). Welche Herzensprojekte konnten sie schon verwirklichen, welche stehen noch aus?

Edenheiser: Das DHMD mit seinem unglaublich engagierten und kreativen Team ist an sich und als Ganzes schon mal ein Herzensprojekt. Nach zwei Jahren sind die ersten Samen aufgegangen. Und das durchaus auch im wörtlichen Sinn: Ein großer Traum von mir war ein Wald im Innenhof des Hygiene-Museums, ganz ähnlich wie in der Nationalbibliothek Paris. Wir haben im Rahmen unserer umfangreichen Maßnahmen für ein nachhaltiges Museum mit der Begrünung begonnen – es wird natürlich nicht ganz ein Wald werden, aber doch mindestens ein wilder Garten. Dort sollen sich nicht nur Pflanzen und Tiere heimisch fühlen, sondern auch unsere Besucherinnen und Besucher.

Außerdem möchte ich die internationalen Netzwerke des Hauses ausbauen, vor allem nach Osteuropa. Für 2025 planen wir eine Sonderausstellung zum Thema „Freiheit“, die wir mit Partnern in Polen und der Tschechischen Republik angehen. Und auch unsere lokalen Wurzeln stärken wir mit Projekten, etwa in der Lausitz.

epd: Welche Aufgaben müssen Museen in der Gegenwart erfüllen?

Edenheiser: Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte ich als allererstes gesagt: Museen müssen Haltung zeigen und Orientierung geben in schwierigen, komplexen, unübersichtlichen Zeiten. Und sie müssen Debatten-Orte sein, an denen wir uns mit den kontroversen Themen unserer Zeit zugänglich und gleichzeitig tiefgründig beschäftigen und dabei auch wieder respektvoll streiten lernen. Mittlerweile scheint mir fast die akuteste Aufgabe zu sein: Als Ort zu fungieren, der Anlässe schafft, zu denen Menschen auch jenseits ihrer gesellschaftspolitischen Positionen zusammenkommen. Unser ‘Willkommen” hört allerdings an der Stelle auf, an der Positionen vertreten werden, die das Gegenüber entmenschlichen und Grundrechte absprechen wollen.

Die große Herausforderung ist also, gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern und dabei sensibel zu bleiben für Diskriminierung und Ungleichheit. Was Museen im Besonderen anbieten können, das sind reale Erlebnisse und Begegnungen im Raum in der direkten Auseinandersetzung mit Dingen, Kunst, Texten und Szenografien. Gerade die Verbindung von Physis, Intellekt und Emotionen sind für das DHMD ein Markenkern.