Studien zeigen, dass eine Mischung aus Homeoffice und Präsenz im Büro der Favorit unter Angestellten ist. Coachin Annelen Collatz wirbt für flexible und individuelle Lösungen.
Seit der Corona-Pandemie ist Homeoffice für viele Beschäftigte zum Standard geworden. Inzwischen mehren sich allerdings die Meldungen von Konzernen wie Amazon, Deutscher Bank oder SAP, die ihre Mitarbeitenden zurück ins Büro beordern – mindestens für drei Tage pro Woche. Geht der allgemeine Trend im Jahr 2024 also zurück ins Büro?
Mitnichten, heißt es vom Ifo-Institut aus München. In einer im August veröffentlichten Studie erklären die Forscher, dass nur 4 Prozent der Unternehmen in Deutschland das mobile Arbeiten wieder komplett abschaffen wollen, 12 Prozent planen, das Homeoffice strenger zu regulieren. Dreiviertel der befragten Firmen wollen ihre Homeoffice-Regelung hingegen beibehalten, 11 Prozent sie sogar noch flexibler gestalten.
Annelen Collatz, Diplom-Psychologin mit dem Schwerpunkt Wirtschafts- und Klinische Psychologie sowie Arbeitswissenschaften, ist überzeugt, dass eine gesunde Mischung aus Homeoffice und Präsenztagen im Büro für beide Seiten am besten ist – für die Angestellten und das Unternehmen. “Die Mischung macht’s”, sagt die Expertin aus Essen. Für wie viele Tage jeder Arbeitnehmer letztlich ins Büro komme, sei Verhandlungssache und richte sich auch nach individuellen Bedürfnissen. “Grundsätzlich ist aber eine Mischform mit drei oder zwei Tagen Präsenzpflicht im Büro vernünftig”, sagt Collatz, die als Coachin für Unternehmen und Führungskräfte tätig ist.
Wenn sich Teams neu bilden oder neue Mitarbeitenden eingearbeitet werden müssen, sollten nach Meinung der Expertin Homeoffice-Tage reduziert und mehr im Büro gearbeitet werden. “Der neue Kollege bekommt so viel mehr mit, auch im Nebenbei”, sagt sie. Davon profitierten beide Seiten.
Durchweg im Homeoffice zu arbeiten, sieht Collatz hingegen kritisch. “Es geht dann zu viel verloren”, sagt sie. Auch Jean-Victor Alipour, Experte fürs mobile Arbeiten beim Wirtschaftsforschungsinstitut ifo, erklärte in einer Mitteilung: “Es ist unbestritten, dass Präsenzarbeit dem Homeoffice in einigen Bereichen überlegen ist: etwa beim Transfer von Wissen, bei Kreativität in der Gruppe oder bei sozialen Aspekten.” Ihm zufolge ist eine intensivere Koordination von Bürozeiten sinnvoll, um den persönlichen Austausch zu stärken.
Collatz erklärt, dass es gerade visuell-kinästhetisch wahrnehmenden Menschen schwerfalle, nur im Homeoffice zu arbeiten. “In den endlosen Videocalls fehlt ihnen eine Wahrnehmungsoption, sie fühlen das Gegenüber nicht”, sagt die Coachin. “Wenn wir Dinge nur zweidimensional wahrnehmen können, bleibt etwas auf der Strecke.”
Auch andere Menschen seien – bei allen Vorteilen wie besserer Vereinbarkeit von Job und Familie – nicht für dauerhaftes mobiles Arbeiten gemacht. “Es gibt Nähe- und Distanz-Menschen. Während letztere prima im Homeoffice zurechtkommen, fehlt den anderen die Anwesenheit anderer Menschen, der Austausch mit Kollegen oder Vorgesetzten. Sie fühlen sich dann nicht wohl”, sagt Collatz.
Nach einer Homeoffice-Studie von Forschern der Universität Konstanz sprachen sich fast drei Viertel (73 Prozent) der Beschäftigten in diesem Jahr für hybrides Arbeiten aus – also einer Mischung von Präsenztagen im Büro und Arbeitstagen zuhause. 2022 waren es mit 64 Prozent noch deutlich weniger Menschen.
Im Schnitt wünschen sich Arbeitnehmer demnach knapp drei Tage Homeoffice pro Woche. Grundsätzlich stellen die Konstanzer Organisationsforscher dabei aber Unterschiede zwischen Führungskräften und Angestellten fest. So hält ein Drittel der Führungskräfte eine stärkere Präsenzpflicht für sinnvoll, während dies bei nur bei knapp jedem fünften Mitarbeitenden ohne Führungsverantwortung der Fall sei.
Eine Erklärung dafür liefert die Erhebung der Wissenschaftler gleich mit: So sehen Zweidrittel der Befragten eine deutliche Verbesserung ihrer Arbeitssituation durch Homeoffice und mobiles Arbeiten. Genauso viele wollen bei einer neuen Jobsuche stark darauf achten, dass der Arbeitgeber Homeoffice möglich macht. Das ist auch Collatz’ Erfahrung: “Es gibt heute kaum einen Bürojob, den man ohne Homeoffice anbieten kann”, sagt sie. “Für viele hat sich mit dem Homeoffice die Work-Life-Balance und die familiäre Situation verbessert, das gilt übrigens auch für Manager.”
So sei die Möglichkeit, mobil zu arbeiten, längst Teil von Bewerbungsgesprächen, auch bei Führungskräften. Collatz berichtet von einem Klienten, der als Chief Technical Officer (CTO) zuletzt seinen Arbeitgeber wechselte, damit sich die Anreise zum Job verkürzt. Zur alten Firma brauchte er pro Strecke mindestens anderthalb Stunden mit dem Auto. “Zwar ist sein neuer Arbeitgeber nun deutlich näher dran, trotzdem handelte er zwei Tage Homeoffice aus”, berichtet Collatz.
Dort, wo Unternehmen eine höhere Präsenzpflicht wieder eingeführt haben, fühlen sich Arbeitnehmende der Konstanzer Studie zufolge häufiger emotional erschöpft. In der Erhebung vom Mai 2024 gaben das knapp 40 Prozent an. Ohne stärkere Präsenzpflicht in der Firma erklärte nur etwa jeder Fünfte, sich emotional erschöpft zu fühlen.
Dass manche Unternehmen und Chefs die Präsenzpflicht verstärken wollen, hat laut Collatz auch damit zu tun, dass es sehr viel schwieriger ist “bis in das Wohnzimmer zu führen” als bis in das Nachbarbüro. “Dabei geht es nicht um das Thema Arbeitszeitbetrug, sondern um die Fürsorge für den Mitarbeiter”, erklärt Collatz. Manch ein Arbeitnehmer lege im mobilen Office so viel Pflichtbewusstsein an den Tag, dass er dort mehr arbeite als im Büro. “Deswegen ist es wichtig, dass Chefs ihren Mitarbeitern in dieser Hinsicht Grenzen setzen und zum Beispiel darauf achten, dass sie Feierabend machen.”
Führungskräfte müssten zu ihren Mitarbeitenden im Homeoffice den Kontakt halten und sich bewusst dafür Zeit nehmen zu erfahren, wie es den Mitarbeitenden gehe, unterstreicht die Expertin. Dabei seien regelmäßige Verabredungen mit den verschiedenen Mitarbeitenden über Video-Plattform hilfreich. “Und dann sollte man dort genauso smalltalken, wie man es in der Teeküche machen würde, und nicht nur über Fachliches reden. Wer immer nur anruft, weil er etwas braucht, der bekommt nichts mit von seinen Mitarbeitenden”, sagt Collatz.
Gleichzeitig brauche es auch Mut in der Führung: “Wenn jemand nur noch – oder viel öfter als vereinbart – im Homeoffice arbeitet, braucht es klare Worte. Vielleicht auch ein Einzelgespräch. Dann geht es darum herauszufinden, wieso diese Person so wenig im Büro ist. Ist die Kita ständig zu? Fährt die Bahn dauernd unregelmäßig? Dann kann man als Arbeitgeber Zugeständnisse machen. Hat man das Gefühl, hier nutzt jemand das Homeoffice aus, muss man klar kommunizieren, dass man sich von diesem Mitarbeitenden mehr Präsenz im Büro wünscht”, sagt Collatz. Häufig gebe es aber gute Gründe für ein Mehr an Homeoffice, ist die Coachin überzeugt. Und: “Es muss auch nicht für alle die gleiche Lösung geben.”