Artikel teilen:

Hürden statt Hilfe – Suchtkranke Jugendliche fallen durchs Raster

Mehr als vier Monate auf Hilfe warten: Krankenhäuser haben kaum Kapazitäten für die Behandlung suchtkranker Minderjähriger, in Entzugskliniken fehlen Betten. Was Fachleute jetzt von der Politik fordern.

“Deutschland ist unterversorgt”: So deutlich formuliert es der Kinder- und Jugendpsychiater Rainer Thomasius. Für junge Menschen gebe es in Entzugskliniken zu wenige Plätze; junge Patienten gerieten durch Sparmaßnahmen “ins Hintertreffen”. Der Gründer des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters fordert mehr finanzielle Mittel für die Behandlung junger Suchtkranker: “Die Belange junger Menschen fallen immer wieder hinten runter.” Thomasius äußerte sich kürzlich bei einer Tagung zur Behandlung und Erforschung von Suchterkrankungen von Kindern und Jugendlichen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE).

Deutschlandweit gibt es rund 150 Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Davon bieten 20 Kliniken laut Deutscher Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) eine qualifizierte Entzugsbehandlung für suchtkranke Minderjährige. Für die stationäre Behandlung stehen insgesamt lediglich 220 Betten bereit. Und: Die Plätze sind in Deutschland ungleich verteilt. In Nordrhein-Westfalen verzeichnet die Fachgesellschaft etwa fünf Suchtkliniken für Kinder und Jugendliche. In Niedersachsen sind es zwei. In Thüringen gibt es gar keine.

Die Finanzierung allerdings ist vielerorts knapp: Die Dietrich-Bonhoeffer-Klinik im niedersächsischen Ahlhorn etwa, eine Fachklinik für suchtkranke Jugendliche und junge Erwachsene, stellte Anfang 2024 einen Insolvenzantrag. Die Einrichtung verfügt alleine bereits über 48 Reha-Plätze. Im Herbst 2024 übernahm ein neuer Träger. Die Klinik konnte dadurch noch gerettet werden.

Ahlhorn ist kein Einzelfall: 2023 musste eine auf Jugendliche spezialisierte Rehabilitationseinrichtung der LWL-Klinik in Hamm, Nordrhein-Westfalen, schließen – aus finanziellen Gründen. Zuvor drohte bereits der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bochum-Linden das Aus. Ein neuer Betreiber rettete 2022 die Einrichtung.

Für Erwachsene stehen zur stationären Behandlung deutschlandweit immerhin rund 6.000 Betten bereit. Minderjährige können laut Suchtexperten allerdings nur getrennt von Erwachsenen in Entzugskliniken behandelt werden: Therapiemethoden müssen an das Alter angepasst werden, das Betreuungsangebot auf die spezifischen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet sein.

Der Bedarf nimmt zu: Vor kurzem erst meldete der Fachverband Drogen- und Suchthilfe steigende Zahlen junger Drogentoten in Deutschland. Besonders Designerdrogen führten zu schweren Vergiftungen. Für Akutfälle gibt es nur wenige Kapazitäten. Die Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz für Kinder und Jugendliche betragen laut DGKJP momentan vier bis sechs Monate. “Suchtkranke Jugendliche sehen unsere Sozialsysteme nicht vor”, so heißt es in einer Stellungnahme.

Hinzu kommt, dass die Behandlung viel Zeit benötigt. Sie dauert üblicherweise vier bis zwölf Wochen. “Oft müssen erst körperliche und seelische Störungen behoben werden, bevor die eigentliche Rehabilitation und die Stabilisierung sozialer Kompetenzen beginnen kann”, sagt Martin Holtmann, Mitglied der Suchtkommission der deutschen kinder- und jugendpsychiatrischen Verbände und wissenschaftlichen Fachgesellschaft.

Derweil gehen die öffentlichen Fördermittel in der Behandlung und Prävention von Suchterkrankungen jedoch zurück; das Land Sachsen etwa plant für den Doppelhaushalt 2025/2026 Einsparungen in der Suchthilfe von 25 Prozent. Interessenverbände schlagen deshalb Alarm: Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen appelliert etwa an die Bundesregierung, die stationäre medizinische Notfall- und Grundversorgung auszubauen.