Was in den USA passiert, passiert auch in Europa, vermutet Anne Applebaum. Die Historikerin ruft die EU auf, die soziales Medien im Blick zu behalten. Sie setzt auf eine Führungsrolle Deutschlands.
Nach dem Sieg des Trump-Lagers in den USA rechnet die Historikerin Anne Applebaum mit ähnlichen politischen Entwicklungen in Europa. Die aktuelle Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels riet der EU in einem Interview der ARD am Montagabend dazu, die sozialen Medien zu regulieren.
“Die meisten US-Amerikaner erhalten ihre Nachrichten und Informationen nicht mehr aus Zeitungen, regulären Fernsehsendungen oder durch Journalisten”, sagte die Wissenschaftlerin. “Sie beziehen ihre Nachrichten aus einer Mischung aus Social Media, Podcasts und Werbeanzeigen. Durch diese Medien wurden die entsprechenden Gedanken massentauglich gemacht.”
Die Historikerin ist sich sicher: “Was in den USA passiert, passiert irgendwann in Europa.” Es werde weitere politische Parteien und Bewegungen geben, die die Ideen, Sprache und Taktik der US-Rechtsaußenbewegung teilten. Die EU müsse sich deshalb jetzt ernsthaft mit der Regulierung der sozialen Medien befassen. “Und damit meine ich nicht Zensur, sondern den Menschen die Kontrolle über ihre Daten zu geben und den Zugang zu Algorithmen und ihrer Funktionsweise zu ermöglichen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Art, wie Menschen ihre Informationen beziehen, mit der Demokratie vereinbar bleibt.”
Applebaum rechnet damit, dass Donald Trump eine radikale Umgestaltung der US-Politik durchsetzen will. Geplant seien eine Massenentlassung von Beamten sowie eine Zerstörung von Aufsichts- und Regierungsbehörden. Die historische Gewaltenteilung gebe es nicht mehr, weil die Republikaner den Senat, vermutlich auch das Repräsentantenhaus und auch den Obersten Gerichtshof dominierten.
Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine sagte Applebaum, Trump habe klar gemacht, dass er sich nicht an der Spitze eines breiten demokratischen Bündnisses sehe. Deutschland und Europa sollten deshalb dringend über die Verteidigung der Ukraine sprechen. Dabei müsse den Europäern klar sein, dass es weitaus teurer werde, wenn der Krieg für die Ukraine schlecht ausgehe. Applebaum rechnet dann mit einer großen Flüchtlingskrise und massiver Aufrüstung, weil die Nato noch stärker bedroht würde. “Ich bin sehr hoffnungsvoll, dass die Europäer sich der Dringlichkeit bewusst werden und verstehen, dass es jetzt gilt, zusammenzustehen und unsere gemeinsamen Werte zu verteidigen”, sagte sie. Sie hoffe sehr auf eine Führungsrolle Deutschlands.