Artikel teilen:

Haben wollen

Über den Predigttext zum 20. Sonntag nach Trinitatis: 1. Thessalonicher 4, 1–8

EvgeniiAnd - Fotolia

Predigttext
Im Übrigen, Schwestern und Brüder, bitten und ermahnen wir euch in Jesus, der uns leitet: Wie ihr von uns gelernt habt das Leben zu führen und Gott zu gefallen, so lebt ihr ja auch; zeichnet euch immer mehr darin aus! Ihr wisst doch, welche Anordnungen wir euch gegeben haben im Namen Jesu, der uns leitet. Dies ist nämlich Gottes Wille, eure Heiligung: Ihr sollt euch von der Prostitution fernhalten! Jede und jeder soll lernen, das Gefäß seines eigenen Körpers heilig und in Ehren zu halten und nicht in leidenschaftliche Gier zu verfallen wie die Menschen der Völker, die Gott nicht kennen. Und ihr sollt eure Geschwister nicht vor Gericht übervorteilen und euch bereichern! Gott verfolgt dies alles, wie wir euch schon früher gesagt und bezeugt haben. Denn Gott hat uns nicht zu einem unreinen, sondern zu einem geheiligten Leben berufen. Wer dies ablehnt, lehnt deshalb nicht Menschen ab, sondern Gott und die heilige Geistkraft, die Gott uns gibt.
Bibel in gerechter Sprache

 

Der Predigttext aus der Sicht von Jugendlichen? Eine schöne Idee für diese Andacht. Und weil so viele unserer Mitarbeiter gerade im Ausland sind, wagen wir ein Experiment: Gedanken und Worte zum Bibeltext in WhatsApp-Nachrichten von Jugendlichen aus Kalifornien, Singapur, England, Estland und natürlich Hamm.
Zunächst reagieren die Mitarbeiter der Jugendkirche empört: „So ein Text macht den Glauben doch voll unattraktiv“, sagt Jule. „Ein typischer Text zum Konfis verschrecken“, so die Reaktion von Jacqueline. Dazu Paula: „Was habe ich beispielsweise davon, wenn ich eine sexuelle Beziehung nicht eingehe, aber dadurch verbittert und genervt durch die Gegend laufe…?“ Wichtige, unverblümte Sätze von Jugendlichen in Begegnung mit dem Text.
Doch dabei bleibt es in unserem digitalen Auslegungsexperiment nicht. Irgendwann entdecken wir, dass Paulus nicht generell Sexualität und Besitz verbieten will. „Es geht doch darum, was eine sexuelle Beziehung oder die Bereicherung an fremdem Besitz mit uns machen kann“, so Luisa, und: „Wenn ich mich dem anderen aus echter Liebe, die mir Gott geschenkt hat, zuwende, dann kann diese Verbindung doch nicht sexuell unmoralisch sein.“ Paulus geht es in diesem Brief um die Gier, von der sich in seinen Augen die Schwestern und Brüder in Thessalonich fernhalten sollen. Von dem Haben-Wollen, das aus Menschen Objekte macht, die von anderen besessen werden, obwohl sie doch lebendige Gegenüber sind. Prostitution war in den hellenistisch-römischen Gesellschaften ein Massenphänomen. Und auch von der materiellen Unersättlichkeit, dem „Nicht genug“, sollen sie sich fernhalten. Wo doch Gerechtigkeit in Gott begründet ist.  
An diese Gedanken sind die Jugendlichen anschlussfähig und beziehen die Gier auf viele Bereiche ihres Lebens. „Ich beziehe die Gier eher auf impulsive Handlungen oder auf Konsum­anfälle, die weder uns noch sonst wem gut tun“ – so Isabelle. Ob es da nun um unseren Körper oder um die Bereicherung am Besitz des anderen geht. Paulus spricht davon, dass wir zu etwas anderem berufen sind: zu einem geheiligten Leben. Und dazu gehört es, dass wir reflektieren. Dass wir einsehen. Zerstörte Beziehungen zwischen Menschen, aber auch ungerechte Besitzverhältnisse in der Welt, globale Handelsstrukturen auf Kosten der Machtlosen werden nicht automatisch heil, sondern nur durch gemeinsame Arbeit. Durch das Wissen um Vergebung wird das alles erleichtert, aber nicht abgenommen.
„Aber lässt sich Gier verbieten und Heiligung anordnen?“, fragen die Jugendlichen sich. Es führt uns nicht weiter, aus Angst die Gier zu verbieten und sie auf andere zu schieben, sondern wir müssen versuchen, sie bei uns anzunehmen. Und zugleich einer anderen Kraft in uns Raum geben, die schon längst da ist und uns bereichert: die heilige Geistkraft. Wenn diese Kraft schon in uns ist, dann wird unsere Heiligung nicht eine unerreichbare Zielvorgabe. Vielmehr ist sie Zusage an uns trotz all unserer Widersprüche und Abgründe: Aus unserer Gier können geheiligte Begierden werden, die für uns lebensschaffende Energie und kreative Kraft besitzen.
Lennart: „Mir gefällt der Gedanke, ein Gefäß für den Heiligen Geist zu sein, der dann durch uns an anderen wirkt und ausstrahlt.“ Und Luisa: „Ich glaube, den Willen Gottes zu tun bedeutet: in unserem Umgang mit anderen Jesu Bespiel zu folgen, und so unsere Heiligkeit in der Welt zum Ausdruck zu bringen.“
„Ist ja doch mehr drin, als ich erst dachte“, schrieb eine Jugendliche zum Abschluss, „lasst uns das öfters machen“. Und darunter ein Smiley mit Heiligenschein.