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Günter Grass – Visionär mit Pfeife und Schnurrbart

Er galt als Mahner: Günter Grass hat bereits 2015 vor einer Eskalation in der Ukraine gewarnt. Porträt zum 95. Geburtstag eines Multitalents.

Ohne seine Pfeife sah man Günter Grass selten
Ohne seine Pfeife sah man Günter Grass seltenStefan Boness / epd

Lübeck. Schnurrbart und Pfeife gehörten zu seinen Markenzeichen. Ebenso seine klaren Worte. Günter Grass war nicht nur ein international geachteter Schriftsteller, sondern auch ein unbequemer Mahner. Bis zu seinem Tod am 13. April 2015 eckte er an, mit seinem Werk und seiner politischen Meinung. Am 16. Oktober wäre er 95 Jahre alt geworden.

„Mir fehlen sein Humor und die präzise Art, komplexe Themen auf den Punkt zu bringen“, sagte der Leiter des Günter-Grass-Hauses in Lübeck, Jörg-Philipp Thomsa, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es sei deshalb kein Zufall, dass das Museum an Grass’ Geburtstag zu einer Lesung des Kölner Schriftstellers Navid Kermani einlade: „Er ist eine wichtige intellektuelle Stimme in unserem Land, so wie Günter Grass es auch war.“ Das Grass-Haus feiert am 16. Oktober gleichzeitig 20-jähriges Jubiläum, es wurde am 75. Geburtstag des Schriftstellers 2002 eröffnet.

Vor Nationalismus gewarnt

Unermüdlich hatte Grass vor einem Wiederaufleben des Nationalismus gewarnt. Er protestierte gegen die Abschiebung von Kurden, unterstützte Sinti, Roma und ehemalige NS-Zwangsarbeiter. Auch für den Umweltschutz setzte er sich sein. Er war mit Willy Brandt befreundet, trat 1983 in die SPD ein und 1993 nach Beschlüssen zur Asylpolitik wieder aus.

Auf dieser Olivetti-Schreibmaschine verfasste Grass die Blechtrommel
Auf dieser Olivetti-Schreibmaschine verfasste Grass die BlechtrommelOlaf Malzahn / epd

Grass’ Themen sind noch heute aktuell und sprechen auch die jüngere Generation an, was sich in der Besucherklientel des kleinen Lübecker Museums zeigt. „Grass hat ein sehr starkes Werk geschaffen. Zudem spiegelt seine Biografie die Widersprüche der deutschen Geschichte wider. Das macht ihn weiterhin interessant für Öffentlichkeit und Forschung“, sagte Thomsa.

Das Werk umfasst mehr als 70 Titel in rund 40 Sprachen. Im Jahr 1999 wurde Grass mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Größter Erfolg war „Die Blechtrommel“ aus dem Jahr 1959. Oskar Matzerath, der kleine Trommler und Außenseiter, erzählt das Leben im Danzig der Nazi-Zeit und der Nachkriegsjahre.

Über Atomtod geschrieben

Zu seinen erfolgreichsten Romanen gehört „Der Butt“ (1977). Angelehnt an das Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“ entwickelte Grass eine verspielte Sozialgeschichte der Frau. In der „Rättin“ (1986) entwirft er ein Szenarium des Weltuntergangs mit Atomtod, Umweltkatastrophe und dem Elend der damals sogenannten Dritten Welt.


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Zudem war Grass Grafiker und Bildhauer. Nach einer Steinmetzlehre studierte er an den Kunst-Hochschulen in Düsseldorf und Berlin. Sein Leben lang wechselten sich Phasen des Schreibens und des Zeichnens ab. Bücher wie sein Erzählband „Mein Jahrhundert“ (1999) sind Literatur und Bildkunst in einem.

Doch Kritik blieb nicht aus. Mit seinem Gedicht „Was gesagt werden muss“ gegen Israel brachte Grass 2012 etliche Menschen gegen sich auf. Nicht der Iran, sondern Israel mit seinen Atomwaffen gefährde den Weltfrieden, heißt es dort. Harte Kritik musste er auch einstecken, als er 2006 öffentlich einräumte, dass er kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs Mitglied der Waffen-SS gewesen war. Zwar hatte er aus seiner Nazi-Begeisterung als Jugendlicher nie ein Hehl gemacht, doch man nahm ihm den späten Zeitpunkt des Geständnisses übel.

Vor Putin gewarnt

Geboren wurde Grass am 16. Oktober 1927 in Danzig, sein Vater war deutschstämmig, seine Mutter kaschubischer Abstammung. Im Zweiten Weltkrieg meldete er sich mit 15 Jahren zur Wehrmacht. Nach seinem Kunststudium lebte er Ende der 1950er-Jahre in ärmlichen Verhältnissen in Paris. 1960 zog er nach Berlin, 1972 nach Wewelsfleth in Schleswig-Holstein. Zuletzt lebte Grass mit seiner zweiten Frau Ute in Behlendorf bei Lübeck.

Noch kurz vor seinem Tod gab er mehrere Zeitungsinterviews zu dem bereits damals schwelenden Krieg in der Ost-Ukraine. Grass warnte vor einer militärischen Eskalation. „Das russische Putin-System empfinde ich als schrecklich“, sagte er Ende 2014, wenige Monate nach der Annexion der Krim durch Russland. Man müsse aber die Angst der Russen angesichts der voranschreitenden Nato-Erweiterung begreifen. Verhandlungen seien das einzig probate Mittel der Konfliktlösung. Durch Waffenlieferungen aus den USA würde sich der Konflikt nur aufschaukeln und zu einem Stellvertreterkrieg werden. „Das kann keiner wollen“, sagte der Schriftsteller vor acht Jahren. Wie Grass heute über den Ukraine-Krieg und die Frage von Waffenlieferungen urteilen würde, wird für immer eine unbeantwortete Frage bleiben. (epd)