Dichte Wälder, satte Wiesen, goldene Kirchenschätze, schmucke Bauten und ein bodenständiger, sturer Menschenschlag – beschreibt das die Region Westfalen? Ob diese Bilder tatsächlich stimmen, darüber können sich Besucherinnen und Besucher der neuen kulturhistorischen Ausstellung „775 – Westfalen“ im LWL-Museum in der Kaiserpfalz Paderborn ihre eigene Meinung bilden.
Die Sonderschau ist Mittelpunkt des Jubiläumsjahres „1.250 Jahre Westfalen“ vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), für das Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Donnerstagabend in Paderborn den Startschuss gab. Mit mehr als 40 Kulturprojekten aus Kunst, Geschichte, Literatur, Musik, Kabarett und Podcasts wird landesweit ein Bogen vom Mittelalter bis zur Gegenwart gespannt. Die Ausstellung und die mit dem Jubiläum verbundenen Veranstaltungen stellten den Westfälinnen und Westfalen das kostbare und reichhaltige Erbe ihrer Region wieder vor Augen, sagte Steinmeier.
Das Jahr 775 ist die Geburtsstunde Westfalens, als die Region erstmals in den fränkischen Annalen erwähnt wird. Die Ausstellung in der Paderborner Kaiserpfalz wandelt auf einem Wanderweg durch die Jahrhunderte, breitet dabei ein farbenprächtiges Panorama von den Sachsenkriegen zum Herzogtum, über ein Königreich zur preußischen Provinz, bis hin zum heutigen Land Nordrhein-Westfalen aus. Die Präsentation am einstigen Stützpunkt Karls des Großen (748-814) ist ganz der westfälischen Landschaft angepasst. Am Wegesrand grünt und blüht es – echte Pflanzen und Moos wurden dafür getrocknet und stabilisiert. Einzelnen Stationen, die an Wanderhütten erinnern, laden die Gäste zum Verweilen und Entdecken ein.
Auf rund 1.000 Quadratmetern Fläche gibt die Schau bis 1. März 2026 Einblicke in herausragende Ereignisse und Wendepunkte der Landesgeschichte, widmet sich Kunst und Kultur ebenso wie dem alltäglichen Leben. Rund 500 Objekte aus ganz Europa, darunter wertvolle Handschriften aus dem Frühmittelalter, archäologische Funde aus den Städten, Gemälde, Grafiken und Karten sowie unzählige Kunstschätze aus den Klöstern und Kirchen vervollständigen das Bild einer wandelbaren Region, die mit einigen Persönlichkeiten aufwarten kann. KI-generierte Bilder zeigen zudem, wie weniger bekannte Westfälinnen und Westfalen ihre Heimat in der Zukunft sehen. Medienstationen laden zum Mitmachen ein.
Das zentrale Ausstellungsstück ist eine der beiden letzten existierenden Abschriften der mittelalterlichen Reichsannalen aus der Pariser Nationalbibliothek. Sie wird nur selten ausgeliehen, weil sie so empfindlich ist. Im Jahrbuch notierte ein Schreiber für 775 einen Kriegszug der Franken gegen die Sachsen. Die Franken besiegten die Ostfalen, die Engern und die Westfalen, heißt es da. Weitere beeindruckende Exponate sind beispielsweise Peter Paul Rubens Gemälde „Anbetung der Hirten“ von 1621/22 und der westfälische Landständepokal mit dem goldenen Westfalenross, den einst Kurfürst Maximilian von Bayern 1667 als Herzog von Westfalen den westfälischen Landständen schenkte.
Ein echter Hingucker ist auch ein seidenes Prunkkleid von Pauline zur Lippe, das die Fürstin 1807 bei der Audienz mit Napoleon Bonaparte auf Schloss Fontainebleau getragen hatte. Ihr Nachkomme Stephan Prinz zur Lippe fand es vor wenigen Jahren auf dem Dachboden seiner Schlossresidenz in Detmold und stellt es nun für die Paderborner Ausstellung zur Verfügung. Die Besuchenden können sich hier an Stoffproben von der Qualität des Kleides überzeugen.
„Es lässt sich keine kontinuierliche Story eines werdenden Westfalens von 775 bis 1815 erzählen“, sagte Museumsleiter Martin Kroker. Denn der Westfalen-Begriff sei im Laufe der Jahrhunderte stets für unterschiedliche geografische und politische Räume verwendet worden, habe sich stets auch im Bewusstsein der Menschen gewandelt. Das solle „775 – Westfalen“ widerspiegeln. Wichtig sei es, auch vom Zeitstrahl abzuweichen und besondere Perspektiven einzunehmen, den Blick in die Zukunft werfen, so Kroker.
Bundespräsident Steinmeier bezeichnete in seiner Eröffnungsrede das westfälische Wappentier als ein Zeichen für Optimismus und den Mut der Menschen in der Region, immer neu anzufangen: „Das steigende Ross scheut nicht das Wagnis“, sagte er. Es sei bereit, die Hindernisse und Gräben in der Geschichte anzugehen, um sie zu überwinden.