„Wie sieht die Erde aus?“, hatte Tilman Reinecke den Vater gefragt. „Er nahm zwei Bälle“, erinnert sich der inzwischen im Ruhestand lebende Pastor: „wohlbemerkt zwei!“ Der Vater, wie beide Großväter ebenfalls Pastor, zeigte dem Jungen, wie sich die Erde um die Sonne dreht. „So ging es los“, sein Interesse für Astronomie, für Physik und Technik.
Wissenschaft und Glaube kein Gegensatz
Dennoch zog es ihn, als er mit 15 den Vater verlor, zur Theologie – und so bewegt sich sein Leben im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Welterkenntnis und Schöpfungsglauben: „Das ist aber kein Gegensatz!“, wie er findet.

„Achte darauf, dass du den Glauben durch die Wissenschaft nicht verlierst“, waren Worte der Mutter. Nicht nötig, fand der junge Tilman. Mit dem Staunen, wie viel mehr es da draußen im Universum gibt, als wir erfassen können, mit der Kenntnis jedes neuen physikalischen Gesetzes wurde ihm deutlicher, wie lückenhaft menschliches Wissen ist. „Eine Liedzeile bringt es schön auf den Punkt“, sagt Reinecke: „Weißt du, wieviel Sternlein stehen?“ Wie klein wir sind. Wie groß die Schöpfung. „Wir reichen an Gott nicht heran!“ Psalm 8 wurde für ihn zum tragenden: „Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?“ – „Durch die Wissenschaft wird das Wunder immer größer!“, sagt er. Sowie Demut und Staunen.
Zweiwöchentliche Führungen in der Sternwarte
Praktische Umsetzung findet seine Leidenschaft bei den Führungen in der Greifswalder Sternwarte. Tilman Reinecke und andere Mitglieder des Sternwartenvereins zeigen dort immer am ersten und dritten Donnerstag des Monats den Nachthimmel. Staunend können Gäste die Kraft und Geschick erfordernde Handhabung der historischen Technik unter der Kuppel des Backsteinturms verfolgen: Wie die Vereinsmitglieder die beiden Fernrohre des eine Tonne schweren Carl-Zeiss-Doppelteleskops dirigieren – wie zu einer Sternensinfonie; wie sich knarzend die Rolltore im Dach öffnen. Schließlich dürfen Freiwillige mit drücken und schieben, wenn das komplette Dach der Sechs-Meter-Durchmesser-Kuppel schließlich gedreht werden muss: so, dass die Lücke über dem Fernrohr steht und der Blick auf Sternhaufen und Galaxien frei wird, auf Sternennebel, Mond oder Sonne.

„Ein faszinierender Moment“, wie Reinecke und Gäste empfinden: wegen des hart erarbeiteten Blicks durchs Rohr in die unermessliche Ferne – und aus Faszination über das Funktionieren dieser ausgeklügelten Technik, die noch ohne jede Elektrizität auskommt. „Einer 100 Jahre alten Technik“, betont Tilman Reinecke: Am 12. Juli feiert der Verein nämlich das Jubiläum der Erstinbetriebnahme der Greifswalder Sternwartenkuppel am damaligen Physikalischen Institut. Zum 100. Geburtstag wurde das weltweit einzige Carl-Zeiss-Doppelteleskop für 170 000 Euro komplett restauriert.