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Gott zu Gast in Leipzig

Wie können Christen mit der Kultur der Konfessionslosigkeit umgehen? Ein Interview zum 100. Katholikentag mit dem Religionssoziologen Gerd Pickel

Von seinem Büro in der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Leipzig blickt Gerd Pickel direkt auf die neue Propsteikirche. Diaspora-Situation, Konfessionslose, Ost-West-Wanderungen und wie Kirchenmitglieder so ticken – das sind seit Jahren Forschungsthemen des Religionssoziologen. Vom 25. bis 29. Mai findet nun in Leipzig der 100. Katholikentag statt. Mit Karin Wollschläger  sprach Pickel in Leipzig über Chancen und Grenzen eines solchen christlichen Großereignisses in einem weitgehend entchristlichten Landstrich.

Herr Pickel, Sie haben den Katholikentag in Regensburg 2014 wissenschaftlich begleitet. Welche  Klientel kommt zu diesem christlichen Großereignis, und wird es in Leipzig anders sein?
Der Katholikentag ist – ähnlich wie der Evangelische Kirchentag – ein Treffen der Hochengagierten. Etwa die Hälfte der Teilnehmer sind in kirchlichen Gremien engagiert, bringen sich in ihren Gemeinden ein. Der Großteil hat liberale Einstellungen. Und es gibt im Grunde zwei Gruppen: Die etwas Älteren, die teilweise schon 20 Mal auf Katholikentagen waren, oder ganz junge Gruppen. Meist sind es liberalere Gläubige, die kommen, um Gleichgesinnte zu treffen und wiederzusehen. Nach Leipzig kommen jetzt vermutlich in der Mehrheit Westdeutsche – einfach weil sie immer zum Katholikentag kommen, egal wo. Darunter mischen sich dann die aktiven Gläubigen aus dem Osten, weil es eben in ihrer Region stattfindet.

Hat der Katholikentag für ostdeutsche Gläubige eine andere Relevanz?
Durchaus. Durch das sehr säkulare Umfeld der Diaspora hier ist der identitätsstiftende Aspekt des Katholikentags für ostdeutsche Christen noch wichtiger. Es ist motivierend für sie und stärkt das Selbst, dass auch andere sich kirchlich engagieren und sich öffentlich dazu bekennen. Zu DDR-Zeiten gab es ja einen Rückzug der Kirchengemeinden nach innen, wobei das zugleich zu einem hohen Engagement der Gläubigen innerhalb ihrer Gemeinde führte. Das wirkt bis heute nach.

In Leipzig soll der Dialog mit Konfessionslosen im Zentrum stehen. Wird das gelingen?
Na ja, die Katholiken werden auf jeden Fall in bisher unbekannter Menge „sichtbar“ werden.Mit diesem Ereignis bietet der Katholizismus erst einmal Anknüpfungspunkte in einer überwiegend konfessionslosen Umgebung. Man darf sich aber eben auch nicht zu viel erwarten. Wir hatten 2011 den Evangelischen Kirchentag in Dresden, da waren die Erwartungen auch hochgesteckt. Aber es ist so, dass bei den meisten Veranstaltungen, die nicht kostenlos sind, die Gläubigen doch eher unter sich bleiben.

Das Christentreffen spielt sich in der Leipziger Innenstadt ab – zehntausende Teilnehmer, da kommt es ja unweigerlich zu Kontakten.
Klar, da werden sich Gespräche ergeben, und das ist die Chance: Christen können mal erzählen, was sie so machen und warum sie dies tun. Das erhöht möglicherweise in der Bevölkerung eine Art Grundverständnis von „katholisch sein“. Natürlich ist nicht damit zu rechnen, dass sich jetzt Scharen der Kirche zuwenden. Hier im Osten hat sich einfach seit mehreren Generationen eine Kultur der Konfessionslosigkeit entwickelt.

Es gibt in Leipzig einen eigenen Programmbereich zum Thema Konfessionslose. Auf dem Hauptpodium „Ich glaub nichts, mir fehlt nichts“ sitzen jede Menge Kirchenvertreter und bekennende Christen. Die Konfessionslosen vertritt nur der Präsident des Bundesverbandes Jugendweihe, Konny G. Neumann. Ist das ausgewogen?
Das Problem ist: Es gibt niemanden, der „die“ Konfessionslosen repräsentativ vertreten könnte. Zum einen, weil es keine homogene Gruppe ist, zum anderen, weil Konfessionslose ja nicht organisiert sind. Klar, es gibt atheistische Gruppen und den Humanistischen Verband, diese stehen aber nicht für das Gros der „normalen“ Konfessionslosen. Wenn jemand sagt: 'Ich glaub nichts, mir fehlt nichts', hat er damit eigentlich schon alles zu dem Thema gesagt – worüber sollte man dann noch mit ihm diskutieren?

Von kirchlicher Seite werden in Ostdeutschland die Konfessionslosen gern als „religiös unentschlossen“ bezeichnet. Ist das zutreffend?
Meiner Ansicht nach nicht. Es suggeriert, dass die Konfessionslosen noch nicht wüssten, wo sie quasi hinwollen. Aber die meisten von ihnen sind mit ihrem Leben ohne Gott völlig zufrieden und suchen nichts anderes. Auch 'religiös indifferent' trifft es nicht richtig. Korrekt müsste man sagen, dass ein großer Teil der Konfessionslosen religionslos ist. Sie sagen selbst von sich, dass sie nicht religiös sind und auch nicht interessiert an Religiösem. Sie haben schlicht den Eindruck: Ich brauche das in meinem Alltag nicht. Insofern beobachte ich durchaus einen großen sozialen Bedeutungsverlust von Religion.

Wie beurteilen Sie denn das Verhältnis zwischen Konfessionslosen und Christen in Ostdeutschland?
Anfang der 90er Jahre hatten die Konfessionslosen Sorge, dass sie jetzt im Zuge der Wiedervereinigung von den Christen aus dem Westen 'überrollt' und zwangsmissioniert würden. Da war das Verhältnis eher angespannt. Da das nicht eingetreten ist, hat sich das entspannt. Es gibt im Grunde eine friedliche Koexistenz. Insofern kann ich mir vorstellen, dass die Konfessionslosen beim Katholikentag schauen, ob es interessante Veranstaltungen gibt. Und wenn die Themen anschlussfähig sind – etwa Flüchtlingshilfe oder soziale Verantwortung –, dann stimmt man da auch zu. Gerade im Bereich des sozialen Engagements haben die Kirchen Stärken, die sie sichtbar machen sollten.

Wie ist es bei ethischen Themen? Sterbehilfe etwa?
Bei Fragen nach dem Anfang und Ende des Lebens gibt es sicher Interesse, aber zum Teil auch unterschiedliche Ansichten. Mancher wird sich fragen, warum sind die denn gegen Sterbehilfe – das wäre ein Anknüpfungspunkt für ein Gespräch. Aber viele sagen eben: Ich habe meine Wertvorstellungen, aber dafür brauche ich keine Religion. Man sollte nicht die Hoffnung haben, dass die Konfessionslosen sich beim Katholikentag jetzt so begeistern, dass sie auch Christen werden wollen. Dass bestimmte Werte religiöse Ursprünge haben, ist für Säkulare recht irrelevant.

Viel Hoffnung machen Sie den Veranstaltern des Katholikentags also nicht…
Na ja, sie sollten realistisch sehen, dass sie mit dem Katholikentag nicht weit ins säkulare Umfeld vorstoßen werden. Es wird keine Eintrittswelle geben. Der einzige Vorteil, der aus den Kontakten resultieren kann, ist, dass man besser miteinander auskommt. Das ist nicht zu unterschätzen, denn gerade beim Thema Religion kommt es ja schnell zu Polarisierungen.