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Gohl zu Missbrauch: Blick auf Zahlen lenkt von Einzelschicksalen ab

In der Debatte um sexuellen Missbrauch innerhalb der evangelischen Kirche lenkt der Blick auf die puren Zahlen nach Ansicht des württembergischen Landesbischofs Ernst-Wilhelm Gohl von den Einzelschicksalen Betroffener ab. „Opfer von sexuellem Missbrauch müssen erleben, dass sie anerkannt werden. Sie brauchen Empathie“, sagte Gohl am Freitag vor der Landessynode in Stuttgart.

Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs innerhalb der württembergischen Landeskirche ersetze kein Gerichtsverfahren, sagte Gohl. Andererseits verlange sie aber auch keine Beweise, sondern beschränke sich darauf, die Plausibilität zu prüfen. Auch kenne die Unabhängige Kommission anders als die staatliche Gesetzgebung bei sexualisierter Gewalt keine Verjährung.

Die württembergische Landeskirche habe bisher jedem und jeder Betroffenen Anerkennungszahlungen in Höhe von jeweils bis zu 30.000 Euro angeboten und auf deren Wunsch auch ausbezahlt. Damit sei eine symbolische Anerkennung des erlittenen Leides verbunden, so Gohl. „Wir müssen auch akzeptieren, dass Betroffene mit der Kirche gebrochen haben oder sich nicht mit unseren Bemühungen zufriedengeben“, sagte der Bischof weiter. Aufarbeitung sei kein Sprint, sondern ein Marathonlauf.

Am 25. Januar hatte der unabhängige Forschungsverbund ForuM im Auftrag der EKD und der Diakonie eine Studie über Risikofaktoren und Ausmaß sexualisierter Gewalt vorgestellt. Die Forscher fanden Hinweise auf mindestens 2.225 Betroffene und mindestens 1.259 mutmaßliche Täter, die tatsächliche Zahl der Betroffenen dürfte der Einschätzung zufolge deutlich höher liegen. Zudem attestierten die Forscher eine „Verantwortungsdiffusion“, ein problematisches Amtsverständnis bei Pfarrern und die Diskreditierung von Betroffenen, die die Gewalt gegen sie öffentlich machten. (0581/15.03.2024)