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Glocken gegen Nazi-Grölen

Als Rechtsextreme den Turm der Dortmunder Reinoldikirche besetzten, setzte Pfarrerin Susanne Karmeier das volle Geläut dagegen. Als „Heldentat“ will sie das nicht bezeichnet sehen

Am Freitagabend vor dem 4. Advent herrschte Ausnahmezustand in der Reinoldikirche in Dortmund: Rechtsextremisten hatten sich auf dem Turm der Kirche verschanzt, ein Transparent an die Brüstung gehängt und Feuerwerkskörper gezündet. Die Polizei nahm acht Menschen fest und leitete Strafverfahren unter anderem wegen des Verdachts auf Hausfriedensbruch, Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz und der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole ein.
Superintendent Ulf Schlüter verurteilte die Besetzung später als „einen skrupellosen Missbrauch des Kirchengebäudes und eine tiefe Respektlosigkeit“. Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus haben keinerlei Raum in der Kirche, erklärte der leitende Theologe des Kirchenkreises.
Pfarrerin Susanne Karmeier hat die Besetzung miterlebt und die Glocken läuten lassen, um die Nazi-Parolen zu übertönen. Mit ihr sprach Anke von Legat.

Wie war die Situation in der Kirche am Freitagabend?
Unsere Adventsandacht „ViertelSternStunde“ war vorbei und ich war noch im Chorraum beschäftigt, als ich Unruhe hinten in der Kirche wahrnahm. Da war eigentlich schon alles passiert: Acht Personen hatten gleich nach der Turmöffnung um 18.30 Uhr Eintritt bezahlt und sich dann oben auf dem Turm verbarrikadiert, Feuerwerk gezündet, ein Plakat entrollt und Parolen gerufen. Durch die verschlossene Tür war ein Gespräch nicht möglich. Wir haben sofort die Polizei informiert. Zum Glück sind der Ordnungsdienst und die Polizei sofort gekommen.

Sie haben dann die Glocken der Reinoldi-Kirche läuten lassen – wie kamen Sie auf diese Idee?
Ein Polizist kam vom Turm und fragte, ob wir dem lauten Gegröle da oben etwas entgegensetzen können.  Das konnten nur die Glocken. Die haben wir dann läuten lassen. Damit konnten wir die Parolen übertönen. Wir haben dann so lange geläutet, bis die Polizei den Turm geräumt hatte.

Das war ziemlich geistesgegenwärtig …
Ach, mir kommt das gar nicht so spektakulär vor. Es war eine spontane Entscheidung und die einzige Möglichkeit, die mir einfiel. Im Internet hat das ein großes Echo hervorgerufen. Ich empfinde das nicht als Heldentat. Die eigentlichen Heldinnen und Helden sitzen woanders: Es sind all die Menschen, die jeden Tag unzählige Zeichen gegen rechtsextremes Gedankengut setzen – auch wenn sie nicht so laut sind wie unsere Glocken.

Was ist das für ein Gefühl, wenn eine Kirche so missbraucht wird?
Ich bin tief empört darüber, dass die Neonazis unsere Kirche, die für Frieden, Versöhnung und Verständigung steht, als Ort für ihre menschenverachtende Propaganda missbraucht haben. Und ich bin wütend, dass die nun für die unsägliche Aktion so viel  Aufmerksamkeit bekommen. Schön war aber, wie die Menschen hier in Dortmund reagiert haben. Alle Gottesdienste, Konzerte und Andachten am Wochenende waren so voll, als wäre schon Heiligabend. Das ist für mich ein Zeichen der Ermutigung und der Rückendeckung für unseren Widerstand gegen Rechts.

Wird es Konsequenzen für die Reinoldi-Kirche geben?
Wir werden natürlich in Zukunft wachsam sein, aber ganz sicher werden wir die Kirche nicht schließen oder Polizisten vor die Türen stellen. Damit hätten die Besetzer ja erreicht, was sie wollten: Verunsicherung und Angst zu säen. Das wollen wir ihnen auf keinen Fall zugestehen. Die Reinoldi-Kirche bleibt geöffnet für alle Menschen, die friedlich und guten Willens sind – ob sie nun eine Kerze anzünden und beten, die Atmosphäre des Raumes wirken lassen oder die Aussicht vom Turm auf den Weihnachtsmarkt genießen möchten.