Anfang Juni ist es so weit: Anna, 13 Jahre alt, feiert ihre Lebenswende in Berlin-Neukölln. Als eine von zehn Jugendlichen wird Anna den Übergang zum Erwachsenwerden in der Genezarethkirche/Startbahn feiern. Familien und Freunde der Jugendlichen werden da sein. Es gibt Musik, die sich die Jugendlichen ausgesucht haben und Kompassworte für ihren Weg. Ein Ritual, das die Kindheitsschätze und die künftigen Lebensfäden im Zentrum hat und dann: ein Segen. Worte und Gesten, die deutlich machen: Ich glaube, dass du auf deinem Weg nicht alleine bist. Ich glaube, dass das Leben mehr ist als das, was ich mit meinen Augen erfassen kann. Nach der Feier dann sind alle zu einem kleinen Empfang eingeladen, es gibt Raum für Fotos und Glückwünsche.
So haben wir uns das überlegt. Für die ersten beiden Lebenswendefeiern in Berlin. Wir, das ist ein Team aus Pankow, dem Amt für kirchliche Dienste (AKD) der EKBO, der Arbeitsstelle Theologie der Stadt im Kirchenkreis Tempelhof-Schöneberg und dem Segensbüro in Berlin-Neukölln. Es ist ein Versuch, Jugendlichen, die sich sonst für Jugendweihe, Phönixzeit oder auch gegen irgendeine Feier entscheiden würden, im Raum der Kirche ein Ritual des Erwachsenwerdens anzubieten. Denn es ist längst nicht mehr selbstverständlich, dass evangelische Eltern ihre Kinder taufen lassen oder für die Jugendlichen eine Taufe infrage kommt: „Unsere Tochter möchte auf keinen Fall eine religiöse Feier, obwohl wir selbst evangelischen Glaubens sind“, sagt etwa eine Mutter. Einige dieser Familien haben ihre Kinder auf evangelische Schulen geschickt, wo sie christliche Werte und auch den Ort Kirche kennenlernen, ohne dafür getauft sein zu müssen.
700 Jugendliche feiern in Halle ihre Lebenswende
Auch wenn es als evangelisches Projekt in diesem Jahr zum ersten Mal in Berlin stattfindet, ist die Idee dahinter schon fast 30 Jahre alt. 1997 entwickelte der Erfurter Domkapitular Reinhard Hauke gemeinsam mit konfessionslosen Schüler*- innen einer katholischen Schule ein Alternativritual zur Jugendweihe. In den folgenden Jahren etablierte sich die Lebenswendefeier, auch unter anderen Namen, vor allem in Ostdeutschland. Heute ist Halle ein zentraler Standort der Lebenswendefeier. Hier begehen in diesem Jahr in 29 Feiern über 700 Jugendliche ihre Lebenswende. Seit letztem Jahr sind wir ein ökumenisches Netzwerk und haben uns den Lebenswendefeiern aus Halle (Saale), Erfurt, und anderswo angeschlossen. Es ist der Versuch, einmal nicht alles neu und anders als alle anderen erfinden zu wollen, sondern das, was schon gut funktioniert, aufzugreifen und damit größer und sichtbarer zu machen.
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Zeit ist reif für Kirche, neue Formate anzubieten
Der eigentlichen Feier gehen drei Vorbereitungstreffen voraus, in denen die Jugendlichen mit ihren Fragen im Zentrum stehen: „Was ist mir wichtig für mein Leben?“ oder auch „Was nehme ich aus meiner Kindheit mit?“. Dabei sehe ich es als meine Aufgabe, den Jugendlichen bei ihren Fragen zugewandt zur Seite zu stehen, ohne dabei meine eigene christliche Perspektive auszuklammern. Es ist ein wechselseitiges Lernen, das mich dazu bringt, meine religiöse Sprache und gewohnten Traditionen immer wieder neu zu übersetzen, um sie so in einer sich säkularisierenden Gesellschaft lebendig zu halten.
Ich freue mich auf die Feier. Auf die Familien. Den Segen. Und ich denke, die Zeit ist reif für Kirche, neue und woanders erprobte Formate anzubieten, weil selbst Kirchenmitglieder für sich oder ihre Kinder die klassischen Angebote nicht mehr wahrnehmen.