Artikel teilen:

“Gesundes-Herz-Gesetz” soll kommen – trotz aller Kritik

Herz-Kreislauf-Erkrankungen kosten jedes Jahr mehr als 350.000 Menschen das Leben. Aus Sicht des Gesundheitsministers braucht es Check-Ups und frühzeitig Medikamente – auch für Kinder. Kritik an den Plänen kommt sofort.

Rauchen ist schlecht für die Gesundheit, Alkohol auch. Wenig Bewegung ebenso. Die Liste der Lebensstil-“Laster”, die sich negativ auf Gesundheit und das Herz-Kreislauf-System auswirken, ist lang. Die Deutschen pflegen davon zahlreiche, machen eher wenig Sport, essen fettig, trinken und rauchen weiterhin gerne. Die Lebenserwartung ist unterdurchschnittlich. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will das nicht hinnehmen. Sein “Gesundes-Herz-Gesetz”, das am Mittwoch vom Kabinett verabschiedet wurde, soll die Bundesbürger zu mehr Früherkennung und Vorsorge – auch medikamentös – bringen. Mediziner und Kassen äußern erhebliche Zweifel.

“Wir haben keine gute Lebenserwartung – Ost wie West – und das ist ein Riesenproblem, das ungelöst ist”, sagt Lauterbach. Herz-Kreislauf-Erkrankungen – auch infolge eines ungesunden Lebensstils – sind in Deutschland Todesursache Nummer eins. Jährlich sterben mehr als 350.000 Menschen daran. Hier möchte der Minister gegensteuern: mit Herz-Check-Ups für Erwachsene im Alter von 25, 40 und 50 Jahren. Per Einladung soll auf Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht und Fettstoffwechselstörungen getestet werden. Zu weiteren Risikofaktoren wie Bewegungsmangel, Alkohol und Rauchen soll es per Gutschein Beratung in Apotheken geben – mit unter Umständen weiterführender Diagnostik beim Arzt.

Schwerpunkt soll aber vor allem die Früherkennung von chronischen Erkrankungen im Kindesalter sein. Geplant sind Untersuchungen des Nachwuchses auf erblich bedingte Fettstoffwechsel-Störungen. Diese spielen nicht nur hinsichtlich der Herz-Gesundheit eine Rolle, sie erhöhen, so Lauterbach, auch das Risiko für Schlaganfälle und spätere Demenz. Daher möchte der Minister frühzeitig medikamentös mit Cholesterin- und Lipidsenkern die Fettstoffwechselstörung behandeln. “Ernährung oder Sport bringen hier nix”, so Lauterbach. Es brauche den gesetzlichen Anspruch auf die Medikamente.

Jugendliche sollen aber auch früher über die Gefahren durch Alkohol, Rauchen und falsche Ernährung aufgeklärt werden. Hierzu möchte der Minister die derzeit eher geringe Teilnahmequote an der sogenannten Jugenduntersuchung J1 erhöhen. Für Raucher und bereits Erkrankte soll es zudem eine strukturiertere Behandlung und leichtere medikamentöse Rauchentwöhnung geben. Finanziert werden sollen die Leistungen, so die Vorstellung des Ministers, von den Krankenkassen aus bestehenden Mitteln zur Gesundheitsprävention.

Doch wie bei seiner Reform der Krankenhäuser und der ambulanten Gesundheitsversorgung hat auch das geplante “Gesundes-Herz-Gesetz” eine Welle der Kritik ins Rollen gebracht. In diesem Fall schlagen Experten aus allen Richtungen Alarm. Der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes lehnt den Entwurf ab. Ihm fehle die wissenschaftliche Evidenz, heißt es.

Der Verband der Ersatzkassen spricht von einer “undifferenzierten Aufblähung von Früherkennungsuntersuchungen”. Der AOK-Bundesverband findet, dass das flächendeckende Screening von Kindern und Jugendlichen zur Früherkennung von Fettstoffwechselstörungen nicht sinnvoll und viel zu teuer sei. “Der Nutzen eines solchen allgemeinen Screenings ist nicht belegbar”, so die AOK-Vorstandsvorsitzende Carola Reimann.

Lauterbach hält dagegen, dass über einem beim Kind entdeckte erblich bedingte Fettstoffwechselstörung auch den Eltern und Geschwistern, ja vielleicht auch dem Onkel geholfen werden könne.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung begrüßt zwar, dass die aktuelle Fassung nun doch – wenigstens zum Teil – den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) von Ärzten und Krankenkassen hinsichtlich der Therapien und Medikamentengabe einbindet. Die Beteiligung der Apotheken sehen die Kassenärzte aber weiter kritisch. “Medizinische Beratungen gehören eindeutig zur Heilkunde – und diese ist Ärztinnen und Ärzten vorbehalten”, so die Kritik. Auch brauche es viel mehr frühe Prävention durch Sportprogramme und Ernährungsaufklärung.

Der ehemalige Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Jürgen Windeler, formulierte es drastischer: “Check-ups machen die Menschen krank, sie machen durch Laboruntersuchungen aus gesunden Menschen von jetzt auf gleich Kranke, und zwar oft lebenslang.”