Von Jobs auf Fischer- bis Tauchbooten hat er so ziemlich alles gemacht, was auf Schiffen verlangt wird. Für den Kroaten Dragan Krstulovic nichts Besonderes. „Praktisch 99 Prozent der Seeleute arbeiten auf den großen Schiffen zusammen mit den vielen Partnerhäfen“, sagt der 49-Jährige bescheiden und fügt an: „Ich bin nur ein kleiner Seemann mit einigen Fähigkeiten und Erfahrungen, aber ich bin ein unbedeutender Seemann.“
Aktuell wohnt er im Seemannsheim in Altona, weil er seit Februar nicht mehr anheuern konnte. Für ihn ist das ein Drama, denn bisher hat er keine Rückmeldung auf Anfragen bei Reedereien bekommen. „Dabei gehe ich den ehrlichen Weg, aber niemand gibt mir eine Chance“, erzählt Krstulovic. „Ich bin bereit, jede Arbeit zu tun, egal auf welchem Schiff. Weil ich weiß, dass ich psychisch besser aufgestellt bin als viele andere Seeleute.“ Damit meint er nicht, dass alle anderen unfähig seien, sondern spricht seine Erfahrung an: „Ich habe mein Leben für die See und die Arbeit gegeben.“
Seemannsdiakon Fiete Sturm begleitet den Seemann seitdem er in Hamburg gestrandet ist und kennt ihn und seinen Arbeitseifer: „Dragan ist wirklich jemand, der so viel auf dem Kasten hat, und er möchte es einfach zeigen.“ Doch nicht nur um Expertise geht es: „Er möchte zeigen, dass er nicht nur ein guter Seemann ist, sondern auch eine gute Person, die sich gut in eine Schiffsbesatzung einfügen kann. Und das erleben wir hier im Haus einfach auch.“
Mehr als 40 Jahre Seemeilen hat Krstulovic auf dem Buckel. Bereits mit sechs Jahren hat er das erste Mal angeheuert. Dass er aktuell keine Anstellung findet, liegt nicht an mangelnder Erfahrung, sondern daran, dass er diese Fähigkeiten nur bedingt nachweisen kann. „Diese ganze maritime Welt ist mittlerweile so formalisiert und bürokratisiert, dass ein Mensch wie Dragan gar nicht mehr zeigen kann, wer er ist“, erklärt Sturm. Das sei eine Herausforderung und Aufgabe für die Seemannsmission: „Da müssen wir auch wieder neu lernen, wie wir solche Menschen vielleicht auch über kreative Wege dahin kriegen, wo sie sein müssen.“
Es sei schon viele Jahre nicht mehr die Vorgehensweise, dass Seeleute einfach ins Hafenbüro stiefeln und sagen, was sie können und wollen. Heute laufe alles über Papiere, Zertifikate und vieles digital. Außerdem fehlen dem Kroaten Deutschkenntnisse, ohne die an Land nichts läuft. Wenngleich auf den Schiffen Englisch gesprochen wird.
Ein Seemann, der nicht zur See fährt, ist wie ein Fisch an Land, meint Fiete Sturm. „Ich stelle mir Dragan wirklich so vor wie einen richtig schnellen, eleganten Fisch, der durchs Wasser gleitet.“ Das sei das Wesen des Seemanns. „Und dann nimmt man dieses Wesen aus dem Wasser raus, tut es an Land und sieht einfach, wie hilflos dieses Wesen ist. Überhaupt nicht mehr es selbst, nicht mehr in seiner Natur.“
Krstulovic würde so gerne unter Beweis stellen, was er kann, wieder auf See, wo er hingehört. „Wunsch ist Wunsch, Leben ist Leben.“ Im Seemannsheim in Altona hat Fiete Sturm immer wieder Jobs für ihn, Hausmeister-Tätigkeiten zum Beispiel. Das sei gut: „Wenn ich hierherkomme und Fiete bittet mich um Hilfe, bin ich auch froh, weil ich für die Seeleute hier etwas Gutes tun kann.“
Trotzdem nennt er den Ort „Goldener Käfig“, weil ihm Privatsphäre fehlt. „Ich habe keine Freunde, weil ich kein Sozialleben habe. Warum habe ich kein Sozialleben? Weil ich dafür nicht die Möglichkeit habe.“ Er habe gerade einfach keine Chance, etwas anzufangen und Fuß zu fassen. Auch auf dem Schiff gibt es keine Privatsphäre, der Ton ist rau, die körperliche und psychische Belastung groß. „Seeleute sind generell Menschen, die ihr Leben für ihre Familie opfern,“ erklärt Sturm. „Die bis zu zwölf Monate auf See sind, um der Familie ein Leben mit allem Drum und Dran zu ermöglichen.“ An dem sie selbst kaum Anteil nehmen können.
Im Seemannsheim bekommen die Seeleute ein Stück Menschlichkeit und Identität zurück, hofft der Diakon. Auf diese Weise sind Mitarbeiter wie Fiete Sturm Wunscherfüller nicht nur im Advent, sondern das ganze Jahr. „In der Weihnachtszeit ist das ganz besonders wichtig, weil das auch die Momente sind, in denen man am meisten spürt, wie alleine man ist.“ Gerade in dieser Jahreszeit gehe es um das, was die Menschen in dieser kalten, maritimen Welt vermissen.
Dragan ist zäh. Er hat hier eine Tätigkeit und auch vier Wände. Trotzdem liege er nachts wach, denn er könne nicht mal 50 Prozent er selbst sein, sagt er. „Ich versuche cool zu bleiben und meine emotionalen Probleme beiseitezuschieben. Ein Freund sagte mal: ‚Dragan, in jeder Stadt gibt es Schatten und Geister‘ und dieses Leben lebe ich gerade.“
Fiete Sturm und das Team in der Seemannsmission geben alles dafür, lassen ihre Kontakte spielen, damit Dragan Krstulovic wieder zur See kann. „Vielleicht erleben wir dieses Jahr noch ein Wunder.“