Sie nennt sich selbst „einzigartige Anlaufstelle für Persönliche Assistenz“: Die „HAG – Hamburger AssistenzGenossenschaft eG“ ist ein spezieller Pflegedienst: Mitglieder sind Menschen mit Körperbehinderung, und die Genossenschaft ermöglicht ihnen selbstbestimmt und mit fachlicher Unterstützung alleine in den eigenen vier Wänden zu leben. Seit 1994 haben die Genossinnen und Genossen das Heft in der Hand, nehmen aktiv an Entscheidungen teil und gestalten ihre Assistenz mit.
Am Anfang stand eine Initiative von engagierten Betroffenen. „Die waren vorher schon in der sogenannten ‘Krüppelbewegung’ aktiv und wollten etwas an den damals herrschenden Verhältnissen ändern“, sagt Sprecherin Daniela Johnsson dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Aktivistinnen und Aktivisten kämpften ab den 1970er Jahren gegen paternalistisches Denken gegenüber behinderten Menschen und deren gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Ziel war es, Menschen mit Behinderung aus der erdrückenden Fremdbestimmung zu lösen und zu einer anderen Form der ambulanten Behindertenhilfen zu kommen. „Unseren Gründern ging es vor allem darum, innerhalb ihrer Versorgung die größtmögliche Selbstbestimmung zu erreichen.“
Das sei bis heute am besten in der Form der Genossenschaft möglich, ist Johnsson überzeugt. „Durch diese besondere Unternehmensform stellen wir sicher, dass die Mitglieder ihre benötigte Assistenz nicht nur einfach kaufen oder vorgesetzt bekommen, sondern diese selbst mitgestalten“, wirbt die HAG auf ihrer Website: „Sie entscheiden selbst, welche Personen in Ihrem Team arbeiten. Sie sagen ihnen, wann und wie welche Unterstützung erfolgen soll.“
Allen „modernen“ Genossenschaften ist seit rund 150 Jahren gemein, dass die Mitglieder zugleich Eigentümer und Kunden ihrer Genossenschaft sind. Ziel ist es, per Selbstverwaltung die wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Belange ihrer Mitglieder durch einen gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern. Gewinne zu erzielen, steht bewusst nicht im Vordergrund. Bundesweit gibt es aktuell rund 7.800 Genossenschaften.
Daniela Johnsson betont das Zusammengehörigkeitsgefühl der HAG-Mitglieder. „Ist man als pflegebedürftiger Mensch auf einen normalen Pflegedienst angewiesen, kennt man die anderen Kundinnen und Kunden häufig gar nicht. Also muss man auch Probleme und Bedürfnisse als Einzelperson formulieren. In der Genossenschaft kann man das gemeinsam tun.“
Dieser solidarische Ansatz scheint attraktiv zu sein. So findet man Genossenschaften nicht nur im Wohnungsbau, sondern auch zum gemeinschaftlichen Cannabis-Anbau und sogar im Fußball, wo der Bundesligist St. Pauli eine Genossenschaft gegründet hat, um ein anderes Finanzierungsmodell im Profisport umzusetzen. Und in Wiesbaden entstand vor wenigen Wochen die „FrauenGeno“, die Start-ups fördert und so neue attraktive Arbeitsplätze mit fairen Gehältern für Frauen schaffen will.
Nach Angaben des Genoverbandes, des größten deutschen Genossenschaftsverbandes, gab es in seinem Verbandsgebiet in diesem Jahr bis zum Stichtag 12. November 505 neue Gründungen. 2015 waren es 73. Erfasst wurden jedoch nur Initiativen, deren Gründung vollständig abgeschlossen ist. Die meisten Neugründungen entfallen auf die Bereiche Medizin, Dienstleistungen und Verkehr (170) sowie auf den Energiesektor (140).
Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2025 zum Internationalen Jahr der Genossenschaften erklärt. Unter dem Motto „Genossenschaften gestalten eine bessere Welt“ soll die Arbeit der Genossenschaften weltweit gewürdigt werden.
„Es ist eine große Ehre und Auszeichnung für die Genossenschaftsbewegung, dass wir nach 2012 bereits zum zweiten Mal ein solches Jahr begehen dürfen“, sagt Mathias Fiedler, Vorstandssprecher des Zentralverbandes deutscher Konsumgenossenschaften, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Genossenschaften leisteten einen wichtigen Beitrag für eine bessere Welt: „Sie tun das durch ihre besondere Struktur: Ausrichtung auf den Nutzen der Mitglieder statt auf Gewinnmaximierung und die Verbindung von unternehmerischem Erfolg mit ideellen Zielen.“
Sein Verband wolle 2025 herauszustellen, welchen Beitrag die Mitgliedsgenossenschaften zum Erreichen der UN-Nachhaltigkeitsziele leisten. „Neben Leistungen im Klimaschutz sind das auch viele soziale Themen, die durch die Arbeit unserer Mitgliedsgenossenschaften berührt werden“, erklärt Fiedler. Dabei gehe es nicht nur um direkte soziale Leistungen, wie zum Beispiel die Arbeit für Menschen mit Behinderungen, sondern auch um indirekte Effekte durch den Zugang zu preiswerten und hochwertigen Lebensmitteln oder bezahlbarem Wohnraum.
Jana Runkel, Mitglied der HAG in Hamburg, betont gegenüber dem epd die Unterschiede der Genossenschaft im Vergleich zu anderen Pflegediensten: „Ich kann die Ausübung meines Selbstbestimmungsrechts mitgestalten. Das ist mir außerhalb einer Genossenschaft so nicht möglich.“