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Generalstochter und Glaubensfrau

„Wenn wir doch die tiefsten Elendsstätten erreichen könnten und die unglücklichsten Menschenkinder“ – das ist ein Zitat von Christa von Viebahn (1873-1955), das für ihr Leben steht. Am 25. November 1873 wurde die Gründerin der Aidlinger Schwesternschaft geboren. Sie stammt aus gutem Hause: Ihr Vater Georg von Viebahn (1840-1915) war ein preußischer General, hatte viel Kontakt zum Kaiser und wurde später Evangelist, ihre Mutter Christine, geborene Ankersmith (1847-1884) war die Tochter eines niederländischen Kaufmanns.

Bereits mit acht Jahren bekam Christa von Viebahn von ihrem Vater eine eigene Bibel geschenkt und las darin fleißig, wie die vielen Notizen zeigen, die sich darin finden. Ein harter Schlag war für das damals 10-jährige Mädchen, als ihre Mutter nach der Geburt des sechsten Kindes starb.

Die Familie zog aus beruflichen Gründen viel um. In den Vororten von Stettin begann Christa von Viebahn mit einer kleinen stadtmissionarischen Arbeit: Sie verteilte an den Fabriktoren christliche Schriften. Bei wöchentlichen Treffen erfuhr die adelige junge Frau von der schweren Arbeit in der Fabrik und versuchte, so gut wie möglich zu helfen – zum Beispiel durch Nähen von Bettwäsche oder Hilfe im Haushalt bei Familien, wo ein Kind geboren war.

1907 wagt sie einen damals mutigen Schritt: Als ledige Frau verlässt sie mit 34 Jahren den elterlichen Haushalt in Stettin und zieht gemeinsam mit einer Freundin, der Professorentochter Elisabeth Kübel, in eine Wohnung nach Stuttgart. Im Jahr 1913 mieteten die beiden Frauen den Saal der Dinkelacker-Brauerei, um zu einer christlichen Veranstaltung einzuladen.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs eröffnet von Viebahn in der Augustenstraße in Stuttgart in einer Werkstatt einen Versammlungsraum für Frauen, in dem es auch eine „Schreibwerkstatt“ gibt, in der tägliche Erklärungen fürs Bibellesen – der sogenannte „Bibellesezettel“ geschrieben werden.

Die Arbeit wächst, es entsteht ein „Helferinnenkreis“ von Mitarbeiterinnen rund um Christa von Viebahn. Einige von ihnen haben den Wunsch, Schwestern zu werden. 1924 werden die ersten Diakonissen von Christa von Viebahn in ihrer Privatwohnung eingesegnet, sie entwirft eine eigene Tracht für die „Viebahn-Schwestern“.

Offiziell wird 1927 die Schwesternschaft gegründet: Erst folgt in Aidlingen der Bau einer Halle und einer Bibelschule für Frauen – und das, obwohl von Viebahn wegen der Weltwirtschaftskrise immer wieder am Rande des Bankrotts steht und nur durch Spenden ein Bau möglich ist. Auch Christa von Viebahn legt Hand an, und leitet den Innenausbau selbst. Bei der Einweihung verkündet sie dann zur Überraschung aller, dass dieses Haus auch ein Diakonissenmutterhaus werden soll, wie Schwester Heidemarie Führer in ihrer Biografie über Viebahn schreibt.

1938 erblindet Viebahn völlig, was sie aber nicht davon abhält, weiter aktiv zu sein. Bald kommen weitere Angebote hinzu wie das alljährliche Pfingstjugendtreffen (1949) eine Haushaltungsschule (1945), die Krankenpflegeausbildung (1949) und praktische Mitarbeit in der Pflege sowie die pädagogische Arbeit in Kindertagesstätten und im Religionsunterricht.

Ab 1953 verschlechtert sich die Gesundheit der „Mutter Christa“, wie sie von den Schwestern genannt wird, zusehends, bis sie am 2. Januar 1955 im Kreise ihrer Schwestern stirbt. „Christa von Viebahn ist uns ein Vorbild in ihrem Glaubensmut, in ihrem Vertrauen zu Gott und darin, wie sie mit der Bibel lebte“, sagt Oberin Schwester Regine Mohr, die seit sechs Jahren das Diakonissenmutterhaus leitet.

„Manche Aufgabenfelder mussten wir in den vergangenen Jahren aufgrund abnehmender Schwesternzahlen oder aus anderen Gründen beenden oder in andere Hände geben“, so die Oberin. „Aber wir halten wie Christa von Viebahn daran fest, dass wir wach sein wollen für die Nöte unsere Zeit und zeigemäße Antworten darauf finden können.“

So gebe es seit neuestem unter dem Motto „Bibel Begegnung Bildung“ neue Angebote wie zum Beispiel Auszeit-Wochenenden für Frauen oder das Café „Wald-Oase“. Zur Schwesternschaft gehören derzeit 205 Frauen zwischen 29 und 98 Jahren.

Viebahns „Bibellesezettel“, gibt es übrigens heute noch: Er erscheint unter dem Titel „Zeit mit Gott“ und hat derzeit nach eigenen Angaben eine Auflage von rund 26.000 Exemplaren. (2727/15.11.2023)