Eine für die deutsche Prime Time bemerkenswert dichte ZDF-Doku befasst sich mit dem Aufstieg von Donald Trumps Vizepräsident J.D. Vance. Das gelingt auch dank des Materials des von Trump geschmähten Senders PBS.
Donald Trump und sein aus oft schwerreichen Menschen mit unklaren Aufgaben bestehendes Umfeld machen es Journalisten nicht leicht. Ausgeruhte Reportagen sind kaum möglich oder müssten minütlich aktualisiert werden. Schließlich können jederzeit neue Wendungen oder bloße Posts in irgendwelchen Netzwerken alles auf den Kopf stellen.
Die 45-minütige, mit viel Material des nichtkommerziellen US-Senders PBS entstandene ZDF-Doku “Trumps Mann fürs Grobe: Wie viel Macht hat J.D. Vance?” fängt mit dessen in Deutschland als “schockierend” empfundenem Auftritt bei der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar an, gestattet sich aber auch Blicke zurück.
Sein unwahrscheinlicher Aufstieg aus der sichtlich heruntergekommenen Ex-Industriestadt Middletown in Ohio sei genau “die Art von Geschichte, die Amerikaner immer noch gerne über ihre Politiker hören”, sagt der “Washington Post”-Journalist Peter Jamison. Mit Hilfe seiner “strengen, aber fürsorglichen Großmutter” schaffte Vance es auf die Eliteuniversität Yale. Dort begegnete er nicht nur dem deutschstämmigen Milliardär Peter Thiel – dem in Deutschland gerade recht viel Aufmerksamkeit gilt, während er in dieser Doku aber keine größere Rolle einnimmt. In Yale formulierte Vance auch das Gefühl, die Elite tue “kaum etwas für die Mitte der Gesellschaft”, berichtet ein “New York Magazine”-Journalist.
Vor allem, was ehemals und nun aber offenkundig nicht mehr mit Vance befreundete Kommilitonen sagen, erweist sich als aufschlussreich. Zwar handelt es sich bei den eingespielten Aussagen meist um die üblichen Schnipsel. Doch viele Gesprächspartner tauchen immer wieder auf, so dass sich auch längere Gedankengänge entwickeln.
Vances autobiografisches Buch “The Hillbilly Elegy” erschien 2016, als Trump seinen ersten Präsidentschafts-Wahlkampf führte und gewann. Prompt sollte der eloquente, sich auch in kontroversen Gesprächssituationen behauptende Autor in vielen Fernsehsendungen erklären, warum sich gerade arme Menschen aus dem abgehängten Rostgürtel vom Immobilien-Milliardär aus New York angesprochen fühlten. Dass Vance sich mit Bemerkungen wie “America’s Hitler” und “kulturelles Heroin” da noch als scharfer Kritiker Trumps zeigte, ist relativ bekannt.
Wie er sich zum “Trumpisten” wandelte und den bekanntlich nachtragenden Trump von sich überzeugte, gehört zum Prozess der “beispiellosen Radikalisierung”, von der die deutsche Historikerin Annika Brockschmidt mit Blick auf die USA spricht.
Ebenfalls in dem Bereich verortet sie den nach konfessionslosen und atheistischen Phasen 2019 vollzogenen Übertritt zum katholischen Glauben. Ihn habe insbesondere das Alter der katholischen Kirche beeindruckt, sagt Vance selbst. Anhänger eines nicht nur sehr konservativen, sondern oft schon “rechtsreaktionären” Katholizismus und vor allem Konvertiten seien in der “New Right”-Bewegung stark vertreten, sagt Brockschmidt.
Wenn in der Doku nach gut einer halben Stunde erstmals Vances Frau Usha auftaucht, könnten Zuschauer, die bislang nicht tiefer in das Vance-Universum eingestiegen waren, überrascht sein: Usha Vance ist Tochter indischer Einwanderer und Vegetarierin. Insofern entsteht durchaus ein differenziertes und weder dämonisierendes noch verharmlosendes Bild, das auch die Zukunft in den Blick nimmt.
Schließlich ist Donald Trump, so sehr er die Echtzeit beherrscht, ein alter Mann, der sich nach aktuellem Recht nicht erneut zur Wahl stellen darf. Hat also Vance beste Chancen auf seine Nachfolge, sofern die Wähler zustimmen? Auch dazu sammelt die Doku interessante Ansichten. Vance habe, anders als etwa Trump und Barack Obama, kein Charisma, sagt dazu etwa Journalist Jamison.
Wenn jemand in Trumps Umfeld eine “eigene Machtbasis” besitze, dann Vance, sagt dagegen der Politikwissenschaftler Charles Kupchan, der allerdings glaubt, dass Trump/Vance aus Sicht ihrer Wähler “so wenig liefern” werden wie zuvor Joe Biden und seine Vizepräsidentin Harris.