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G20-Gipfel in Brasilien – Ein “kaputter Kompass” in Krisenzeiten

Klimawandel, Hunger, Armut und Ungleichheit: Die G20-Staaten fanden nur minimale Übereinstimmung, aber die brasilianische Präsidentschaft gab sozialen Themen wieder neues Gewicht in der Gruppe.

Die Zusagen auf dem G20-Gipfel der Industrie- und Schwellenländer im Kampf gegen Hunger und Armut sowie zur Besteuerung von Superreichen sind auf positive Reaktionen gestoßen. Scharfe Kritik gab es aber an viel zu vagen Beschlüssen zum Klimaschutz, da ein erhofftes Signal für die laufende Weltklimakonferenz (COP29) im aserbaidschanischen Baku ausgeblieben ist. Entwicklungsorganisationen forderten deshalb konkrete neue Finanzzusagen für die Anpassung an den Klimawandel sowie die neue Globale Allianz gegen Hunger und Armut. Diese wurde am Montag während des Treffens gestartet.

“Gastgeber Brasilien hat sein Bestes gegeben, die G20 haben einfach nicht mitgezogen”, sagte Friederike Röder, Vizepräsidentin von Global Citizen; eine Plattform, die sich für die Beendigung von extremer Armut einsetzt. “Das multilaterale System ist so schwach wie seit Jahrzehnten nicht mehr – ein kaputter Kompass, der nicht in der Lage ist, die heutigen Krisen zu bewältigen”, so die Expertin. “Nicht einmal die Sonne von Rio konnte die düstere Realität aufhellen.”

Bestes Beispiel sei, dass die Gruppe der G20 “als Hauptblockierer” bei den neuen Klimafinanzierungszielen “wieder einmal den Schwarzen Peter weitergereicht haben und es anderen überlassen, das Chaos zu beseitigen”.

Als ein Gründungsmitglied in der neuen Allianz im Kampf gegen Hunger und Armut forderte das Kinderhilfswerk World Vision, dass vor allem für ärmere Länder jetzt auch “die nötigen Mittel bereitgestellt werden, damit die Ziele erreicht werden”, wie Fiona Uellendahl von der Organisation sagte. Das Hilfswerk selbst will in den kommenden zwei Jahren mindestens 3,4 Milliarden US-Dollar in den Kampf gegen Hunger und Armut investieren. “Mitmachen, ohne Verpflichtungen einzugehen, hilft niemanden”, betonte Uellendahl, “gerade Kindern nicht, die besonders unter Hunger und Armut leiden”.

Nach langem Ringen bekräftigten die Staats- und Regierungschefs in der Abschlusserklärung, sich stärker für eine höhere Besteuerung von Milliardären einzusetzen. Der Beschluss geht aber nicht über den vagen Konsens der Finanzminister im Juli hinaus. Auf dem Tisch liegt ein Vorschlag Brasiliens für eine zweiprozentige Steuer für Superreiche. Das betrifft rund 3.000 Personen und soll bis zu 250 Milliarden US-Dollar jährlich einbringen. Während sich das bislang FDP-geführte Bundesfinanzministerium nicht hinter das Vorhaben gestellt hatte, sprachen Aktivisten nach dem Bruch der Ampel-Koalition in Berlin von positiven Signalen, dass künftig eine mögliche CDU-geführte Bundesregierung hier aktiv werden könnte.

Die Entwicklungsorganisation Oxfam begrüßte die Zusage der G20-Staaten, bei der Besteuerung enger zusammenarbeiten zu wollen, als “bahnbrechend”. “Brasilien hat einen Weg in eine gerechtere und widerstandsfähigere Welt geebnet und fordert andere auf, ihm an diesem kritischen Punkt zu folgen”, sagte Jörn Kalinski von Oxfam. Es gehe um einen “globalen Standard, der die Steuersätze hoch genug festlegt, um die Ungleichheit drastisch zu reduzieren und die Billionen von Dollar aufzubringen, die zur Bekämpfung der Klima- und Armutskrise erforderlich sind”.

Die G20-Gruppe müsse das Vorhaben jetzt unter der kommenden südafrikanischen Präsidentschaft mit konkreten Arbeitsschritten vorantreiben. “Der Ball liegt nun bei Südafrika”, sagte Kalinski. In den vergangenen zwei Jahrzehnten sei die Ungleichheit deutlich angestiegen. Das reichste Prozent in den G20-Staaten besitzt nach Oxfam-Berechnungen 31 Prozent des gesamten Vermögens. Es sei um fast 150 Prozent auf 68,7 Billionen US-Dollar gestiegen. Die ärmere Hälfte der Bevölkerung hingegen besitze nur fünf Prozent.

Während vorangegangene G20-Gipfel von Russlands Aggression gegen die Ukraine und dem Gaza-Krieg dominiert worden waren, hatte der brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva versucht, beide Konflikte auszuklammern, um sich auf den Globalen Süden zu konzentrieren. Zunächst hatte es noch so ausgesehen, als wenn Argentiniens ultraliberaler Präsident Javier Milei die Vorhaben boykottieren wollte. Doch gab es überraschend schon am ersten Gipfeltag am Montag eine Einigung auf das gemeinsame Kommunique.

Besonders enttäuscht reagierten Aktivisten auf die erneut nur allgemeinen Beschlüsse zum Klimaschutz. Die G20-Staaten bekräftigten nur das im Pariser Klimaabkommen avisierte Ziel, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen, was laut Experten ohnehin nicht mehr zu erreichen ist. Erforderlich seien mindestens eine Billion US-Dollar jährlich, damit besonders ärmere Länder Maßnahmen ergreifen könnten, um sich in der Infrastruktur, Landwirtschaft, Wasserversorgung, im Gesundheitswesen und Katastrophenschutz an die Folgen des Klimawandels anpassen zu können, erläuterte Global Citizen.