Weihnachten 1914. Inmitten des Ersten Weltkrieges kommt es an der Westfront, hauptsächlich in Frankreich, zu einem Wunder: dem Weihnachtsfrieden. Englische und deutsche Soldaten gehen aufeinander zu, um eine weihnachtliche Ruhepause einzulegen. „Sie schwenkten die weiße Fahne und stiegen aus ihren Schützengräben“, schreibt Autorin Iris Muhl (Zürich) in ihrem neuen Roman, „Ein Lied für den Feind“, der im SCM Hänssler-Verlag (Holzgerlingen) erschienen ist. „Genau dort, wo sich die Gräben bis auf wenige Meter gegenüberlagen, kam es zu spontanen Festlichkeiten mit Weihnachtsbäumen und Kerzen, bei denen mit Rotwein angestoßen und Fußball gespielt wurde“, so Muhl, die für ihr Buch Tagebucheinträge von Soldaten aus dieser Zeit gelesen hat.
Der Roman erzählt auch von dem Fußballspiel zwischen den Fronten: „Der Ball hopst über größere Steine, Wiesenballen, Erdklumpen. (…) Die englischen und deutschen Soldaten japsen, schnappen nach Luft wie Fische auf dem Trockenen. (…) Sie spielen eine Stunde Fußball, schreien, kicken, was das Zeug hält. Sie geben sich die Hand. Es ist ein warmer, freundschaftlicher Händedruck. (…) In diesem Augenblick sind sie weder Soldat noch Feind, sondern lediglich Mensch.“
Die Autorin hat das Buch geschrieben, weil sie zutiefst beeindruckt ist von der „Sehnsucht dieser Soldaten nach ein wenig Frieden, Hoffnung und Stille zu Weihnachten mitten in diesem schrecklichen Ersten Weltkrieg“, sagt sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Und gerade diese Sehnsucht habe den Soldaten den Mut gegeben, dem Feind die Hand zu reichen, mit ihm zu singen und Weihnachten gemeinsam zu begehen. „Und obwohl auf Kollaboration mit dem Feind die Todesstrafe stand, ließen sich diese Soldaten davon nicht einschüchtern.“
Deutsche und britische Soldaten helfen sich dabei, die Toten des letzten Angriffs zu beerdigen. Das ist auch im Roman verarbeitet: „Die Engländer stellen sich ans Grab und falten ihre Hände. Die Deutschen tun ihnen gleich. (…) Die Männer haben ihre Helme abgezogen und schauen zu Boden. Feind an Feind. (..) “Unser Vater im Himmel, geheiligt werde dein Name … Die Engländer sprechen das Gebet auf Englisch, manche laut, andere leise. Eine unverhofft heilige Ruhe legt sich über ihre Köpfe, die hängenden Schultern und die schweren Herzen. Das Gebet fühlt sich tröstlich an. (…) Denn wenn Feinde zusammen Kameraden begraben und beten – muss dann dieser vermaledeite Krieg nicht bald zu Ende gehen?”
Nach allem, was bekannt ist, haben 1914 etwa 100.000 Soldaten auf diese Weise mit dem Feind Weihnachten gefeiert. Auch wenn der Weihnachtsfrieden nur wenige Stunden dauert, und es bis Ende des Krieges 1918 keine weiteren Weihnachten dieser Art gab, war diese Zeit eine Sternstunde der Menschheit: „Langsam, aber sicher, werden die Männer gewahr, dass ihr größter Feind in Tat und Wahrheit der Krieg ist, und nicht der Mensch, der vor ihnen steht“, so Muhl. (2752/08.12.2024)