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Friedensforscher Fernando Enns: Hitzige Debatten tun gut

Sind für die Kirche klare Positionen im Nahost-Konflikt und dem Krieg in der Ukraine möglich? Der Hamburger Professor Fernando Enns hat dazu im Interview mit Katrin Wienefeld eine klare Meinung.

Auf der EKD-Synode Mitte November demonstrierten Christen für einen Waffenstillstand in Nahost
Auf der EKD-Synode Mitte November demonstrierten Christen für einen Waffenstillstand in NahostImago / epd-bild

Braucht die Kirche klare Positionen angesichts der Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen?
Ja, Kirche muss die Stimme sein für diejenigen, deren Stimmen verstummen. Es ist Teil ihres Wächteramtes in der Gesellschaft. Im derzeitigen gewaltsamen Konflikt in Israel/Palästina haben wir es mindestens mit zwei Akteuren zu tun, die direkte Gewalt ausüben und für das Leid verantwortlich sind: die Hamas und die israelische Regierung, die beide nicht davor zurückschrecken, Zivilisten zu töten, und humanitäre Hilfe nicht zulassen. Das muss Kirche anklagen.

Sie werben als Friedenstheologe dafür, einander zuzuhören, um zu verstehen. Führt das nicht zu mehr Differenzierung?
Solange wir zuhören, ist die Chance da, miteinander auf neuen Wegen gehen zu können. Bei der Tagung des ÖRK-Exekutivausschusses hat es Mühe gekostet, die verschiedenen Meinungen der Delegierten zusammenzubringen, aber wir haben einen Konsens herausgebildet. Manche meinten, man müsse möglichst ausgewogene Positionen herausarbeiten. Doch es kann nicht das Ziel sein, auszudifferenzieren, wer warum einen Grund für Gewalt hat, solange das Töten weitergeht. Es gibt keine Rechtfertigung dafür. In jedem Menschen begegnet uns Christus selbst, und nichts in der Theologie kann Argumente hervorbringen, warum man das Recht haben könnte, diesen Christus in einem anderen Menschen zu töten.

Professor Fernando Enns lehrt Theologie in Hamburg  und Amsterdam
Professor Fernando Enns lehrt Theologie in Hamburg und Amsterdamepd-bild / Thomas Lohnes

Kann die örtliche Kirche in Gaza und Israel noch handeln?
Es gibt interreligiöse Netzwerke, die Kirche unterhält gute Hilfswerke, und sie kann auch versuchen, auf politischer Ebene und vor allem in den lokalen Gemeinden zu vermitteln. Mit ihrer Präsenz kann sie bestehende Friedensräte unterstützen, denn es gibt sowohl auf jüdischer als auch muslimischer Seite trotz allem Menschen, die bereit sind, die Gewalt gemeinsam zu beenden und an Lösungen zu arbeiten.

Was können kirchliche Institutionen hierzulande tun?
Ich meine, dass Kirche gerade in diesen Zeiten Räume schaffen muss, in denen sich Menschen mit unterschiedlichen Auffassungen begegnen können. Es gibt eine Polarisierung in der Gesellschaft, die auch in die Kirchen hineinreicht. Wenn wir zusammenkommen, besteht die Möglichkeit, sich zu verstehen. Dabei sollten wir keine Angst vor Auseinandersetzungen haben.

Werden Sie angefeindet wegen Ihrer Haltung zu Friedensbemühungen?
Eigentlich nicht. Das liegt vielleicht daran, dass ich nicht in den Sozialen Medien unterwegs bin, die zu sehr auf ein Senden, nicht auf ein Empfangen ausgelegt sind. Ich habe den Luxus, mit meinen Studierenden intensiven Austausch zu haben. Ich rede, höre zu und lerne permanent, dass man Dinge auch anders sehen kann.

Was sagen Sie, wenn es um das Recht auf Selbstverteidigung geht?
In diesem Punkt würde ich mir eine viel stärkere Differenzierung wünschen. Wir als Kirche haben Verantwortung, wenn Menschen Gewalt angetan wird – aus welchen Gründen auch immer. Das ethische Dilemma entsteht, wenn der Angreifer nur mit Gegengewalt aufzuhalten zu sein scheint. Natürlich befürworte ich einen Polizeieinsatz, um einem Gewalttäter Einhalt zu gebieten.

Aber es ist etwas anderes, wenn ich Militär in Gang setze und massenweise Waffen herstelle, um Menschen zu töten. Ich glaube nicht, dass dieses Dilemma mittels Waffen zu lösen ist. In der Ukraine sehen wir, wohin das führt. Die Weisheit der Bergpredigt liegt für mich darin, dass wir nicht die Art und Logik der Aggressoren übernehmen, sondern klüger sind und Handlungen entwickeln, damit wir tatsächlich als Kirche agieren. Was ich derzeit sehe an politischem und militärischem Agieren, das überzeugt mich nicht.

Ist es schwierig, eine Haltung zu haben, die keine einfache Antwort bietet?
Ich bin sicher, dass wir diesen Aspekt zu wenig beachten. Gerade in westlichen Gesellschaften sind wir es gewohnt, für jedes Problem eine Lösung anzubieten. Wir gestehen es weder den Politikerinnen noch der Kirche zu, keine Lösung parat zu haben. Ich habe jüngst in einer Predigt gesagt: Auch ich bin ratlos und wende mich Gott zu. Es ist ein Gott, der weint über so viele Opfer, der aber eben nicht zuschlägt.

Info
Am Dienstag, 28. November, spricht Fernando Enns im Rahmen der Reihe „Friedenswege in Altona“ um 18 Uhr im WillkommensKulturHaus Ottensen, Bernadottestraße 7. Weitere Informationen gibt es hier.