Weiße Regenschirme und T-Shirts mit Friedensbotschaften statt nationalistischer Flaggen: 600. Tage nach Beginn des Gaza-Kriegs luden Vertreter verschiedener Religionen zu einem Zug von der Jerusalemer Innenstadt in Richtung Altstadt ein. Die Botschaft war klar: Frieden ist der Weg, und am besten geht man ihn gemeinsam. Gewidmet war die dritte Ausgabe des interreligiösen Marsches der israelischen Friedensaktivistin Vivian Silver, die am 7. Oktober 2023 von der Hamas ermordet wurde.
Entstanden ist er als Gegenpol zum nationalistischen und oft gewalttätigen Flaggenmarsch am sogenannten Jerusalem-Tag, der in diesem Jahr auf den 26. Mai fiel. Während des Friedensmarschs betonte der Direktor der “Rabbiner für Menschenrechte”, Rabbiner Avi Dabusch: Mit dem 7. Oktober 2023 habe “die blutigste Periode in der Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts” begonnen. Zu den Verlusten durch den Angriff der Hamas und den 58 Geiseln, die sich weiter in der Gewalt der Terrorgruppe befinden, komme “der ebenso große Kampf, unsere Werte zu bewahren”. Bei diesen, so Dabusch, gebe es keinen Raum für den “massenhaften Tod von Kindern und Frauen in Gaza” und für die Behauptung, es gäbe keine unschuldigen Menschen.
Zusammen für die Gottebenbildlichkeit auf der Straße
Im Glauben daran, dass jeder Mensch nach dem Abbild Gottes geschaffen ist, sind Diskriminierungen wegen ethnischer Zugehörigkeit, Religion und Geschlecht schwer zu akzeptieren. Diese Ebenbildlichkeit zieht sich wie ein roter Faden durch Gebete und Worte. “Es ist so wichtig, dass Menschen zusammen für die Gottebenbildlichkeit auf die Straße gehen – und schön, dass es geht”, sagte Pfarrerin Ines Fischer der deutschsprachigen lutherischen Gemeinde in Jerusalem der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Zwar ist es eine kleine Gruppe, die sich dem Aufruf der Religionsvertreterinnen und -vertreter angeschlossen haben, vielleicht 300 Menschen. Aber “es ist wichtig, dass sie da sind und dass sie durchhalten”, so Fischer.
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Die Kleinheit der Gruppe sei fordernd, sagte auch Yisca Harani. Die israelische Jüdin engagiert sich seit vielen Jahren im interreligiösen Dialog und für ein friedliches Miteinander der Religionen in Jerusalem. “Es ist ein sehr kleines Event, aber wir müssen irgendwo anfangen. Wenn wir unsere Beine nicht nutzen, werden wir nicht gehen. Vielleicht brauche ich keine hundert Beine, sondern nur meine beiden.”
“Beten mit meinen Füßen” steht auf den T-Shirts vieler Teilnehmer, die sich vom Zentrum der Westjerusalemer Innenstadt in Bewegung setzten. Viele waren der Aufforderung der Veranstalter – einem Kollektiv von rund 30 Organisationen – gefolgt und hatten sich weiß gekleidet. Ordensgewänder, Priesterkragen, Kopftücher und Kippas prägten das Bild.
Kritik und Beleidigung von Passanten
Erst singend und betend, dann still im Gedenken an die Opfer des Krieges zog die Menge mit den weißen Schirmen in Richtung der Jerusalemer Altstadt. Einige Passanten reagierten wütend auf die sichtbare Koexistenz. “Geht nach Tel Aviv”, “geht nach Hause”, lauteten die friedlicheren Aufforderungen, “geht nach Gaza” die deutlicheren. Aber es blieb bei verbaler Gewalt, und die Zahl der neugierigen Passanten war höher als die der Gegner.
Zu den Teilnehmern gehörte auch der deutsche Botschafter in Tel Aviv, Steffen Seibert, weil hier “zwei Dinge zusammenkommen, die uns Deutschen doch wichtig sind: die Sehnsucht nach Frieden für das Heilige Land und der Dialog der Religionen”, sagte er der KNA. Aus der Gemeinsamkeit von Juden, Muslimen, Christen und Drusen, die einander respektieren und ein gemeinsames Ziel ansteuern – “und vielleicht sogar nur aus dieser Gemeinsamkeit” – könne etwas werden.