Aus Sicht der Freien Wohlfahrtspflege Bayern ist das soziale Netz in Gefahr. Gemeinnützige Einrichtungen könnten die durch die Inflation schnell steigenden Kosten nicht kompensieren und blieben auf den Verlusten sitzen, sagte die Vorsitzende der Freien Wohlfahrtspflege in Bayern und Präsidentin des Diakonischen Werkes, Sabine Weingärtner, am Mittwoch bei einem Pressegespräch in Nürnberg. Der Personalnotstand bedrohe alle sozialen Dienstleistungen und betreffe alle Berufe in sozialen Einrichtungen. In Kitas, Seniorenheimen und Beratungsstellen könnte es immer öfter heißen: Wegen Personalmangel geschlossen. Dies hätte gravierende Folgen für alle Menschen in Bayern.
Bereits im Mai hatte die Diakonie Bayern vor einer „todernsten Lage“ gewarnt. Die Sozialwirtschaft sei wie kaum ein anderer Akteur abhängig von politischen Entscheidungen. Trotz zahlreicher Gespräche komme man nur langsam voran, kritisierte Weingärtner. „Wir brauchen aber schnelle und konstruktive Reaktionen.“ Andernfalls könnten die Träger ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen. Weingärtner wies auf das Subsidiaritätsprinzip hin: Die Verbände und ihre Einrichtungen erfüllen bestimmte Aufgaben des Staates an seiner Stelle. Dafür brauche es eine auskömmliche Regelfinanzierung. Derzeit müssten die Träger jedoch selbst Geld in die Hand nehmen, um weiter arbeiten zu können.
Als Beispiel für falsche und fehlende politische Entscheidungen nannte Weingärtner den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen ab 2026. Der Arbeitsbereich sei verbandsübergreifend so unterfinanziert, dass derzeit Angebote schließen müssten, statt ausgebaut zu werden. Die Vorsitzende forderte eine Erhöhung der Pauschalen in der offenen Ganztagsbetreuung um 30 Prozent sowie in der Mittagsbetreuung um 90 Prozent. Wenn Menschen durch fehlende Angebote in der Kinderbetreuung zu Hause bleiben müssten, hätte das negative Konsequenzen für den Arbeitsmarkt. „Spätestens dann wird deutlich werden, wie notwendig ein funktionierendes soziales System in Bayern tatsächlich ist – und was passiert, wenn es reißt“, sagte Weingärtner.
Die Freie Wohlfahrtspflege fordert von dem Anfang Oktober neu gewählten Landtag in Bayern mehr Geld für ihre Leistungen und einen geringeren Eigenanteil. Außerdem brauche es eine planbare Finanzierung über mehrere Jahre hinweg statt unsicherer Projektmittel, die in Haushaltsberatungen jederzeit gestrichen werden könnten. „Wir brauchen an einigen Stellen eine grundsätzliche Veränderung und kein Herumdoktern, wie es bisher gemacht wird“, sagte Weingärtner. Wer jetzt im sozialen Bereich spare, zahle später drauf. Soziale Einrichtungen müssten außerdem als Teil der systemrelevanten Infrastruktur bei allen politischen Maßnahmen berücksichtigt werden.
In der Freien Wohlfahrtspflege Bayern sind das Bayerische Rote Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt, der Landes-Caritasverband Bayern, die Diakonie Bayern, der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern und der Paritätische Wohlfahrtsverband Bayern organisiert. Gemeinsam erbringen die Verbände nach eigenen Angaben mit über 455.000 hauptamtlichen und rund 136.500 ehrenamtlichen Mitarbeitenden rund 75 Prozent aller sozialen Dienstleistungen in Bayern. (00/3063/20.09.2023)