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Franz-Marc-Museum zeigt Werkschau zu Elfriede Lohse-Wächtler

“Irrwisch” wird ein in Mooren auftretendes Licht genannt. Als solches bezeichnete sich auch die Künstlerin Elfriede Lohse-Wächtler. Ihr war nur ein kurzes Aufleuchten gegönnt, wie eine Schau in Kochel zeigt.

Obwohl sich der Blick längst geweitet hat, ist die Kunstgeschichte nach wie vor von Männern dominiert. Völlig zu Unrecht, wie das Franz-Marc-Museum im oberbayerischen Kochel wieder einmal beweist. Dort ist bis 9. Juni die höchst sehenswerte Ausstellung “Ich als Irrwisch” zu sehen. Sie ist der lange in Vergessenheit geratenen und nun wiederentdeckten Künstlerin Elfriede Lohse-Wächtler (1899-1940) gewidmet. Die Malerin gilt mittlerweile als eine der wichtigsten Stimmen der deutschen Kunst in den Zwischenkriegsjahren und der Weimarer Zeit.

Zu verdanken hat das Haus diese eindringliche Schau seiner neuen Direktorin Jessica Keilholz-Busch und deren guten Kontakten zur norddeutschen Kunstszene. Denn vor Kochel wurden die rund 80 Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen aus öffentlichen und privaten Sammlungen im Ernst-Barlach-Haus in Hamburg präsentiert. Das lag nahe, da die Künstlerin in den Hamburger Jahren (1925-1931) ihre künstlerisch intensivste und produktivste Phase erlebte: mit Bildern von Hafenarbeitern, von Prostituierten der Reeperbahn, von der dortigen Kneipenwelt.

Damals befand sich Lohse-Wächtler zugleich in einer prekären Lebenssituation: Ihre Ehe mit dem Maler Kurt Lohse scheiterte nach vier Jahren. Die Folge waren Armut und zeitweise Obdachlosigkeit sowie massive psychische Probleme. Mittellos – auch wegen der Weltwirtschaftskrise – zog sie zurück zu ihren Eltern nach Dresden, wurde mit der Diagnose Schizophrenie in die Psychiatrie eingewiesen, später entmündigt und von Staats wegen sterilisiert. Unter den Nazis als “unwertes Leben” eingestuft, wurde die Künstlerin Ende Juli 1940 in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein ermordet.

Vor diesem Hintergrund ist die Fachwelt bis heute versucht, die Kunstwerke von Lohse-Wächtler nur als eine Bild gewordene Opfergeschichte zu lesen. In diese “Biografie-Falle” will die klug konzipierte Ausstellung bewusst nicht treten. Ausdrücklich wird die Vielseitigkeit im Schaffen dieser Künstlerin betont. Auf ihre in Museen und Galerien gezeigten Bilder reagierte die Fachpresse in ihrer Hamburger Zeit begeistert. Stilistisch und motivisch war sie ungemein kreativ und entwickelte eine unverwechselbare Bildsprache.

In ihren einfühlsamen, leidenschaftlichen Bildern taucht die Malerin tief in die menschliche Existenz ein. Ihre Darstellungen bäuerlichen Lebens in erdigen Farben, des weiblich-männlichen Geschlechterkampfs, die collagenartigen (Alp-)Traumwelten, die Porträts der Patientinnen, Pflegekräfte und Szenen des Anstaltlebens oder die Reihe der ausdrucksstarken “Typen” vergisst man nicht so schnell.

Höhepunkt ist der Raum mit ihren Selbstbildnissen. Mal wirkt Lohse-Wächtler wie erstarrt mit eingefrorenen Zügen, mal lodert ihr Gesicht wie in bunten Feuerflammen auf, manchmal wie von großem Leid gezeichnet oder verwirrt von den Schicksalsschlägen des Lebens. Sie inszeniert sich virtuos als “Absinth-Trinkerin” in grünen Farben und mit wirrem Haar oder als mondän schillernde Lady der Zwanzigerjahre. Selbstbefragung und Selbstermächtigung – das war wohl ihr Lebensthema schlechthin.

Ihre Werke entstanden oft angesichts existenzieller Bedrohungen. Sie spiegeln die Geschichte einer Selbstbehauptung wider. Das bewies die unangepasste Frau schon früh in ihrem Leben. Ihr wohlsituiertes Elternhaus verließ sie mit 16 Jahren, belegte Kurse für Ausdruckstanz und freundete sich mit Mitgliedern der Dresdener Avantgarde an. Sie rauchte Pfeife, kleidete sich androgyn und signierte ihre frühen Werke mit “Nikolaus Wächtler”.

Ihre Schaffenszeit dauerte letztlich nur zwei Jahrzehnte. Es mag spannend, aber auch müßig sein, darüber zu spekulieren, wie ihre Karriere weiter verlaufen wäre. In die Zukunft verweist ihre Bildsprache: Farben, die sich zu befreien versuchen, Linien, die ein Eigenleben zu führen scheinen, wie festgehaltene Momente, die sich im nächsten Augenblick schon wieder verändern könnten. Bilder, die die tieferen Geheimnisse des menschlichen Daseins zu erforschen suchen.