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“Flüchtlinge haben das Hauptgefühl, hier unerwünscht zu sein”

Der Verein „Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern“ wurde vor 30 Jahren – im Mai 1995 – gegründet. Der Landesverband hat heute etwa 100 Mitglieder und beschäftigt 13 Menschen hauptamtlich. Das 30-jährige Vereinsjubiläum soll am 18. Juni in Schwerin gefeiert werden. Die Vorstandsvorsitzende des Flüchtlingsrates MV, Ulrike Seemann-Katz (69), sagte im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), wofür sich der Verein engagiert und vor welchen Problemen er derzeit steht.

epd: Was macht der Flüchtlingsrat MV konkret?

Ulrike Seemann-Katz: Er engagiert sich für die Umsetzung der Menschenrechte für Geflüchtete. Das heißt für menschenwürdigen Wohnraum, medizinische Behandlung, Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, also gleiche Rechte sozusagen, auch auf dem Arbeitsmarkt.

epd: Das heißt, Sie gehen mit Flüchtlingen zum Arzt oder wie muss man sich das vorstellen?

Seemann-Katz: Das nicht. Der Flüchtlingsrat setzt sich mehr für die politischen Hintergründe ein. Wir machen aber auch eine Rechtsberatung zu Asylverfahren. Diese Aufgabe hat der Staat quasi an uns weitergegeben und finanziert das als Projekt.

Und wir machen arbeitsrechtliche Beratungen, damit Menschen nicht so über den Tisch gezogen werden können. Sie müssen wissen, welche Rechte sie haben, etwa bei Urlaubsansprüchen oder wenn die Lohnzahlung ausbleibt.

epd: Von wem bekommt der Verein Fördermittel?

Seemann-Katz: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gibt uns Gelder für die arbeitsmarktliche Beratung sowie für Seminare mit Unternehmen oder Jobcentern, damit die informiert sind über die Rechte von Geflüchteten.

Ein Projekt haben wir über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für die Asylverfahrensberatung an bestimmten Orten. Da Geflüchtete aber im ganzen Land leben, finanziert das Land ein ergänzendes Projekt dazu. Da geht es um Asylbewerberleistungen, Verfahrensfragen, aufenthaltsrechtliche Fragen. Dadurch kommen wir an die Probleme der Zielgruppen ran und können das dann übersetzen in politische Forderungen.

epd: Welche drängenden Probleme haben Flüchtlinge in MV derzeit?

Seemann-Katz: Dass sie sich diskriminiert fühlen. Das ist so ein Hauptgefühl, hier unerwünscht zu sein. Und dann gibt es finanzielle Probleme, weil das Asylbewerberleistungsgesetz anders umgesetzt wird, als es im Gesetz steht. Es hat jetzt eine Minusrunde für Asylbewerber gegeben, während es beim Bürgergeld eine Nullrunde gab. Im Gesetz steht aber, dass sich die Leistungen für Asylbewerber am Bürgergeld orientieren sollen.

epd: Was bedeutet diese Minusrunde für Asylbewerber?

Seemann-Katz: Die haben ohnehin mehr als 100 Euro weniger als Bürgergeld-Empfänger. Ein erwachsener, alleinstehender Asylbewerber bekommt jetzt beispielsweise monatlich 440 Euro und damit 20 Euro weniger als im Vorjahr für Taschengeld und für den persönlichen Bedarf. In den Erstaufnahmeeinrichtungen gibt es ohnehin nur Taschengeld, weil die notwendigen Bedarfe als Sachleistung gewährt werden.

epd: Wie sieht es mit Rassismus aus? Kriegt Ihr Verein das mit, dass das ein Problem ist?

Seemann-Katz: Ja, weil wir auch immer selber angeschrieben werden und mit rassistischen Auffassungen belästigt werden. Es ist wirklich unglaublich, was Menschen anderen Menschen unterstellen. Wenn jemand hier einen Asylantrag stellt, ist er ja noch nicht per se ein schlechter Mensch. Das wird aber von Anfang an so einfach unterstellt.

epd: Wie erreichen Sie diese Angriffe?

Seemann-Katz: Durch anonyme Briefe oder Emails.

epd: Und das hat zugenommen?

Seemann-Katz: Auf alle Fälle.

epd: Was machen Sie mit diesen Nachrichten?

Seemann-Katz: Wenn es Menschen sind, die uns bekannt sind, dann antworten wir manchmal. Manchmal merkt man auch an der Art, wie geschrieben wird, dass das ein Mensch ist, der gerade selber sehr unglücklich ist und wenig Ahnung vom Thema hat. Dann versuchen wir, die Sachen richtigzustellen, um dem was entgegenzusetzen. Wenn wir merken, dass es irgendwie hektografiert ist und immer gleichlautende Mails kommen, dann wissen wir, da brauchen wir nicht zu antworten.

epd: Fühlt sich der Verein vom Land genug unterstützt?

Seemann-Katz: Ja und nein. Politisch schon, würde ich sagen. Es fehlt manchmal an rechtlichen Umsetzungen, die wir gerne anders hätten. Und dann wäre es gut, wenn wir institutionell gefördert würden und nicht nur über Projekte, die wir jährlich neu beantragen müssen. Das ist eine Verwaltungsarbeit, das ist unglaublich, und man macht ja im Prinzip trotzdem immer gleiche Arbeit.

epd: Wie sieht es aus mit dem Schutz von Flüchtlingsfrauen vor häuslicher Gewalt?

Seemann-Katz: Mittlerweile dürfen auch geflüchtete Frauen in die Frauenhäuser. Das ist mit ein Erfolg unserer Arbeit, weil MV früher die Frauenhäuser nur für deutsche Frauen gefördert hat. Allerdings haben wir in MV das Selbstzahler-Prinzip. In anderen Bundesländern wie zum Beispiel Schleswig-Holstein werden die Plätze durch das Land gefördert und Frauen, die sich das gar nicht leisten können, müssen erst mal gar nichts bezahlen. Da ist es einfach ein Grundrecht, ins Frauenhaus zu gehen. Das ist in MV anders.

epd: Die betroffenen Frauen müssen also immer versuchen, Geld aufzubringen, wenn sie ins Frauenhaus gehen?

Seemann-Katz: Ja, es muss über das Leistungsschutzrecht laufen, über die Asylbewerberleistungen. Und das muss beantragt werden.

epd: Wie sieht es mit dem Bereich Arbeit aus? Es gab ja jüngst Diskussionen, dass Asylbewerber auch was tun sollen, arbeiten gehen sollen, wenn sie Geld vom Staat erhalten.

Seemann-Katz: Die Diskussion selber ist sehr rassistisch, von so einem Faulenzergedanken her geführt worden. Die meisten Menschen wollen gerne arbeiten, auch Geflüchtete. Sie möchten gerne für ihren Lebensunterhalt sorgen, zumal sie dann auch mehr Geld in der Tasche haben als die Asylbewerberleistungen.

Es kommt hinzu, dass es zu Anfang die sogenannten Arbeitsverbote gibt, oder besser gesagt: Wartezeit. So nennt sich das im Gesetz, dass man erst ab einem bestimmten Punkt arbeiten darf. Und dann muss man möglichst die deutsche Sprache soweit können, dass man einen Arbeitsplatz findet.

Zudem gibt es nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bereits so etwas wie Arbeitsmaßnahmen für Geflüchtete. Die müssen sogar arbeiten, sonst gibt es Leistungskürzungen. Die Kommunen nutzen das auch, vor allem für den internen Betrieb der Unterkünfte wie etwa Reinigungsarbeiten. Das ist aber kein offizielles Arbeiten, es ist nicht sozialversicherungspflichtig und begründet keine Rentenansprüche, auch keinen Urlaub.

epd: Ist es zu umständlich, wenn man erwartet, dass sie erst Deutsch lernen und dann in Arbeit kommen?

Seemann-Katz: Bei den Arbeitgebern ist es so, dass sie – wenn es passt – Geflüchtete immer gerne nehmen, egal ob sie Deutsch können oder nicht. Es gibt allerdings Arbeiten, die kann man gar nicht ohne Deutschkenntnisse machen. Selbst ein einfacher Putzjob. Da sollte man wenigstens die Etiketten lesen können, damit man nicht irgendwelche Desinfektionsmittel falsch anwendet.

epd: Vor zehn Jahren sagte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel „Wir schaffen das“, als es auch um die Aufnahme von vielen Flüchtlingen aus Syrien ging. Haben wir das denn geschafft?

Seemann-Katz: Ich denke, ja. Es sind inzwischen viele Menschen aus Syrien in Deutschland eingebürgert. Die meisten Syrerinnen und Syrer, die in der Lage waren zu arbeiten, sind auf dem Arbeitsmarkt. Es kommen nur immer wieder neue nach und das scheint einen Erschöpfungszustand ausgebildet zu haben bei ehren- und hauptamtlichen Menschen in der Flüchtlingsarbeit sowie bei den Behörden. Aber man muss sich klarmachen, dass das eine Daueraufgabe ist. Denn die Krisensituationen und die Migrationsbewegungen in der Welt werden nicht abnehmen. Schon gar nicht, wenn man an den Klimawandel denkt.

epd: Was sagen Sie zu dem Ansinnen, dass die Syrer doch jetzt zurückgehen könnten in ihre Heimat?

Seemann-Katz: Es gibt den einen oder anderen Syrer, der das gerne will. Allerdings gibt es in Syrien immer noch kriegerische Auseinandersetzungen. Zudem glaube ich nicht, dass es gut ist, wenn wir jetzt hier unsere zigtausend Ärztinnen und Ärzte aus Syrien nach Hause schicken, weil das unser Gesundheitssystem erheblich schädigen würde. Ansonsten sollte man es den Menschen überlassen, ob sie zurückkehren wollen oder nicht.