Heute ist Israelsonntag. Und viele bekommen das gar nicht mit. Manche Predigerin, mancher Prediger mag sich gern mal daran vorbeimogeln. Denn das Thema ist voll Fettnäpfchen und Fallen: Jesus und die Juden. Altes Testament und Neues Testament. Antisemitismus und Holocaust. Aber auch die aktuelle politische Lage im Staat Israel – eine Gemengelage, die einschüchtern kann.
Was also predigen am Israelsonntag?
Jahrhundertelang schien die Sache klar. Israel, das waren die Juden; das Volk, das Gott sich in grauer Vorzeit erwählt hatte. Aber durch Ungehorsam verspielte sich Israel immer wieder Gottes Gunst und wurde bestraft. Schon gleich am Anfang, beim Marsch in die Freiheit: 40 Jahre Umherirren durch die Wüste. Zerstörung des Jerusalemer Tempels. Verschleppung nach Babylon. Römische Besatzung. Erneute Zerstörung des Tempels. Zerstreuung über die ganze Welt.
Die biblischen Bücher sind voll mit Wehklagen und Trauer über die himmlischen Strafen und dem Flehen, dass Gott diese Strafen beenden möge. Darüber konnte man ja gut predigen.
Was diese Sicht allerdings in eine Katastrophe münden ließ, war die Überheblichkeit des Christentums. Spätestens als die christlichen Kirchen im ausgehenden Römerreich an Macht und Einfluss gelangten, sahen die sich als das auserwählte Volk, als das „neue Israel“. Die Juden, so die fatale Interpretation, seien von Gott nicht nur bestraft, sondern verworfen worden. An die Stelle des „alten“ Bundes mit den Juden sei nun der „neue“ mit den Christen getreten. Eine Sicht, die über Umwege mit für den Holocaust verantwortlich war.
Inzwischen haben sich in der christlichen Theologie die Vorstellungen geändert. Entsetzen, Reue und Scham über die Mitverantwortung am Holocaust führten zum Umdenken. In der Theologie hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Christentum und Judentum zwei verschiedene Triebe der gleichen Wurzel sind. Christinnen und Christen entdecken, wie fruchtbar es sein kann, auf den jüdischen Glauben zu schauen: Jesus war Jude. Er hat als Jude geglaubt.
Ja. Es gibt den alten Bund am Sinai. Und für die Christen den erneuerten Bund in Jesus Christus. Aber dadurch wird der alte Bund nicht abgelöst oder aufgehoben. Das Judentum bleibt Gottes zuerst und dauerhaft erwähltes Volk. Dem christlichen Glauben wird dadurch nichts weggenommen. Er wird vervollständigt.
Vielleicht hilft der Blick in den Himmel. Dort oben ist hin und wieder der Regenbogen zu sehen. Unterschiedliche Farben, die ihre Schönheit erst gemeinsam entfalten. Und: Es gibt keine festen Grenzen; die Farben gehen fließend ineinander über.
In der Bibel ist der Regenbogen das Zeichen für einen Bund, der noch älter ist als der mit den Zehn Geboten: Gottes Bund mit allem Lebenden. Wasser und Sonne. Tränen und Lachen. Eine Brücke aus Licht über dunklen Wolken: Das wäre es doch wert, gepredigt zu werden. Zum Beispiel am Israelsonntag.