Artikel teilen

Feminismus: Friedans Kampf gegen den Weiblichkeitswahn

Vor 60 Jahren stellte das Buch “The Feminine Mystique” die Rolle der Frau infrage. Konservative lehnten es ab, selbst Autorin Friedan ging die gesellschaftliche Entwicklung irgendwann zu schnell.

Die US-amerikanische Feministin, Journalistin und Schriftstellerin Betty Friedan
Die US-amerikanische Feministin, Journalistin und Schriftstellerin Betty Friedanepd / Adine Sagalyn / akg-images

Das Urteil der Zeitschrift „Human Events“ war hart, noch Jahrzehnte später. Das konservative Blatt, angeblich Lieblingslektüre des späteren US-Präsidenten Ronald Reagan, nannte im Jahr 2005 „The Feminine Mystique“ von Betty Friedan eines der nach Ansicht von Experten „zehn schädlichsten Bücher“ des 19. und 20. Jahrhunderts. Vor 60 Jahren, am 19. Februar 1963, kam es in die Buchhandlungen. Ein Bestseller, der gesellschaftliche Konventionen über die „angemessene“ Rolle der Frau infrage stellte, offenbar vielen „Hausfrauen“ aus der Seele sprach und den Grundstein legen half für den modernen Feminismus. In Deutschland trug das Werk den Titel „Der Weiblichkeitswahn oder die Selbstbefreiung der Frau“.

Gefühl der Unzufriedenheit bei vielen Frauen in den 60er-Jahren

Friedan schrieb darin gegen die Auffassung an, dass es der einzige Traum von Frauen sei, „vollkommene Ehefrauen und Mütter“ zu werden. Es herrsche in den USA der in Medien und im Kommerz geförderte „Weiblichkeitswahn“. Unterschwellig mache sich „ein Gefühl der Unzufriedenheit“ unter vielen Frauen breit, befand Friedan, damals selber Vorort-Hausfrau, Mutter und freiberufliche Journalistin. „Wenn sie Betten machte, einkaufen ging, Stoff für neue Schonbezüge ausmaß…. wenn sie nachts im Bett lag – immer scheute sie sich, die leise Frage zu stellen: ‘Ist das alles’?“

In der Werbung damals gewann die Ehefrau die Zuneigung des Mannes, indem sie ihm guten Kaffee einschenkte. Familienserien im Fernsehen hießen „Father Knows Best“ („Vater weiß es am besten“) oder „Leave it to Beaver“ (auf Deutsch unter „Erwachsen müsste man sein“), letztere über das Ehepaar Cleaver mit den Söhnen Wally und Theodore, genannt Beaver. Mutter und Ehefrau June servierte das Abendessen mit Perlenkette. Haushalt mit modernen Küchengeräten sollte nicht nach Arbeit aussehen. Vater und Ehemann Ward ging ins Büro, spielte Golf und half ab und zu beim Geschirrabtrocknen.

Friedan: Wohlstand bremste den Femisnismus aus

Die Vorstadtwelt der Cleavers war heil und Vorbild für den Rest der Welt. Die USA erlebten den „amerikanischen Traum“ mit expandierendem Wohlstand nach dem Zweiten Weltkrieg. Einfamilienhäuser mit Garage und Garten waren erreichbar für viele. Friedan zitierte aus dem „Time“-Magazin: Es gehe Frauen „einfach zu gut, als dass sie sich für unglücklich halten könnten“.

Am 4. Februar 2021 wäre Friedan, geboren in Peoria in Illinois als Tochter jüdischer Eltern aus Osteuropa, 100 Jahre alt geworden. Sie starb an ihrem 85. Geburtstag im Jahr 2006. Zahlreiche Kritikerinnen und Kritiker, nicht nur von konservativer Seite, sprachen von blinden Stellen ihres Buchs bezüglich Ethnie und Klasse. Frauen in Friedans Buch kämen ausschließlich aus den weißen Vorstädten, kommentierte Historikerin Betsy More auf der Webseite des „Archivs jüdischer Frauen“. Friedan habe ignoriert, dass Frauen aus der Arbeiterschicht, besonders Schwarze und Latinas, nicht das Privileg gehabt hätten, zu Hause zu bleiben. Vielmehr hätten diese Frauen oft schlecht bezahlten Jobs nachgehen müssen.

Friedan blieb nicht nur Autorin

1966 war Friedan eine Mitbegründerin des Frauenverbandes „National Organization for Women“, der gegen die damals auch gesetzlich verankerte Diskriminierung wehrte. 1969 war sie Mitinitiatorin des „Nationalen Verbandes zum Abschaffen der Abtreibungsgesetze“. Sie setzte sich zeit ihres Lebens für eine Serie von Reformen ein, darunter gleiche Bezahlung und Mutterschaftsurlaub und einen – bis heute nicht beschlossenen – Verfassungszusatz zur Gleichberechtigung.

Die 1960er Jahre waren eine Zeit der Veränderung. Der junge John F. Kennedy wurde Präsident. First Lady Jackie Kennedy setzte Modetrends mit ihren Pillbox-Hüten und agierte unabhängiger als ihre Vorgängerin Mamie Eisenhower. 1960 ließ die US-Arzneimittelbehörde FDA das erste hormonelle Verhütungsmittel zu. Die Bürgerrechtsbewegung erzielte Erfolge. Gegner des Kriegs in Indochina forderten den Staat heraus, junge Menschen protestierten gegen den Status quo, zur Musik von Bob Dylan und Janis Joplin verbreitete sich eine Gegenkultur. Radikalere junge Frauen verlangten „women’s liberation“, die Befreiung der Frauen.

Feministin Friedan warnte vor Extremismus

Doch für Friedan war das anscheinend ein bisschen viel. In einem damals heftig kritisierten Beitrag in der „New York Times“ 1973 warnte sie, in der schwarzen Bewegung hätten sich Extremisten durchgesetzt, in der Studentenbewegung sehe man eine „ Hassrhetorik“, und die Frauenbewegung werde in Mitleidenschaft gezogen von Frauen, die anderen „Lesbianismus“ oder „Hass auf Männer“ aufdrängen wollten.

Aber: Frauen müssten deutlich Nein sagen zum „Weiblichkeitswahn“, schrieb sie in „The Feminine Mystique“. Habe die Frau diesen durchschaut, und dass „weder Mann noch Kinder, weder Dinge noch Sexualität … ihr ein Ich verleihen, findet sich die Lösung oft viel leichter, als sie angenommen hatte“.