Mit einem dumpfen Rums fällt die Kirchtür ins Schloss. Stille. Der Verkehr der nahen Max-Brauer-Allee: ausgesperrt. Kein Torjubel vom Fußballplatz des SC Teutonia. Kein Hundebellen. Keine Stimmen. Was bleibt, ist das leise Plätschern des goldenen Brunnens im Eingang. Ein großer Korb mit Wollsocken hält die Tür in den kreisrunden Kirchraum offen. Schweigend, aber mit einem warmen Lächeln winkt Angelika Wenzel die Besucher mit den Augen hinein. Seit drei Jahren leitet sie im Wechsel mit vielen anderen Ehrenamtlichen die „Atempause vor dem Abend“. Von montags bis freitags. Immer eine halbe Stunde ab 18 Uhr.
Klang eines Gongs begleitet die Stille
Der Raum selbst legt seine meditative Stille über die Besucher. Die Stadt bleibt draußen. Die hellen Wände, weiße fließende Vorhänge, die die bunten Glasfenster im ehemaligen Altarraum verdecken, lassen die Augen zur Ruhe kommen. Auf dem Boden, rund um das Oktagon im Fußboden, liegen blaue Decken, gelbe Meditationskissen und hölzerne Bänkchen. Einige sind schon besetzt. Auch weiter hinten im Raum haben sich Menschen verteilt.
18 Uhr. Wie von einem unsichtbaren Band gezogen, versammeln sich alle in der Mitte des Raumes. Setzen sich auf Stühle oder Meditationskissen. Ein kurzer Impuls. Angelika Wenzel schlägt einen Gong, dessen Klang in die Stille begleitet. Zehn Minuten. Einatmen, ausatmen. Die Ruhe auch im Inneren finden. Gedanken beruhigen. Die einschlafenden Beine ignorieren.
Kirche der Stille: Bewusstes Atmen ist wichtig
„Das bewusste Atmen ist in einer Stilleübung unheimlich wichtig“, wird Ulf Werner später erklären. Zusammen mit Laura Koch-Pauka leitet er seit Beginn des Jahres die Kirche der Stille in Altona. „Durch die Konzentration auf den Atem ist es möglich, aus dem Gedankenkreisen auszusteigen.“ Gemeinsam in Stille sitzen. „Stille tut allen Menschen gut, denen der Atem hier sitzt und nicht hier“, sagt Laura Koch-Pauka und deutet auf den Halsansatz und anschließend auf den Bauch. Sich verbunden fühlen und dadurch Ruhe finden. Es entsteht ein Gefühl für den Nachbarn. Das Atmen. Die Präsenz. Das macht etwas mit den Menschen. „Oft fließen bei den Gottesdiensten Tränen. Gemeinsame Stille und Meditation kann tiefsitzende Gefühle lösen“, so Koch-Pauka. Menschen bleiben. Dann setzt sich jemand dazu. Hält mit aus. In gemeinsamer Stille ist eine neue Verbindung zueinander gewachsen. „So gesehen und gefühlt zu werden, das gehört an diesen Ort“, so Koch-Pauka.

„Das sind Gottesmomente, die man miteinander teilt“, sagt Ulf Werner. Er selbst kenne das auch in der Musik. Auf Konzerten. Ulf Werner spielt seit Jahren in der Ska-Punk-Band Rantanplan. Gerade ist er von Plattenaufnahmen in New York zurückgekommen. „Egal ob ich selbst auf der Bühne stehe oder ein Konzert besuche – manchmal, nicht immer, entsteht da eine Verbindung zu den Menschen. Das ist für mich etwas Göttliches, was man selbst auch nicht in der Hand hat. So stelle ich mir das Paradies vor.“ Auf Erden ein flüchtiger Moment. „Stille darf nicht gleichgesetzt werden mit Schweigen“, sagt Koch-Pauka. „Es geht um eine innere Stille.“
Nach zehn Minuten Stille erhebt sich die Gruppe. Schweigend in langsamen Schritten geht es um den Mittelpunkt des Raumes. Die Bewegung tut gut. Die Gelenke knacken. Nach zwei Runden wieder zehn Minuten sitzen in der Stille.
“Mein Selbstbild ist nicht still”
Doch anders, als man vermuten könnte: Auch mit Klängen wird in der Kirche der Stille gearbeitet. Da gibt es „HerzensLicht-Gottesdienste“ mit Stillephasen, Handauflegen und persönlichem Segen. Aber auch Tanz, Gesang – von orthodox über Taizé bis zu Mantras. Da wird meditiert, geatmet, gezittert, Hände werden aufgelegt.„Wir schätzen an diesem Ort so, dass das Wort nicht so im Zentrum steht – ganz anders als bei Luther üblich“, sagt Koch-Pauka. „In einem Sonntagsgottesdienst huscht das Wort oft so vorbei.“ In der Kirche der Stille ist Zeit.
„Ich brauche bestimmt noch ein Jahr, bis ich hier alles durchdrungen habe“, sagt Werner. „Aber wir brauchen eben auch eine schnelle Denkerin.“ Beide lachen. Es passt. „Mein Selbstbild ist überhaupt nicht still“, sagt Laura Koch-Pauka. „Ich bin die Letzte, die sie hier brauchen“, dachte sie, als sie vor über einem Jahr nach der Geburt ihres zweiten Kindes als Vertretungspastorin in die Kirche der Stille kam. „Dann habe ich mich in diesen Ort verliebt.“