Jährlich nehmen sich Tausende Menschen in Deutschland das Leben. Mit einem Suizidpräventionsgesetz soll diesen Menschen Hilfe angeboten werden. Doch der Bundesgesundheitsminister hat noch nicht geliefert.
Karl Lauterbach hat noch nicht geliefert. Im Sommer 2023 hatte ihn der Bundestag mit überwältigender Mehrheit aufgefordert, bis Ende Juni 2024 einen Gesetzentwurf zur Suizidprävention vorzulegen. Eine vom Parlament zuvor geforderte Nationale Präventionsstrategie, zu der auch etwa das Bau- und andere Bundesministerien und die Länder gefragt waren, hatte das Gesundheitsministerium im Mai veröffentlicht.
Der evangelische Sozialverband Diakonie kritisierte es am Montag als unverantwortlich, dass immer noch kein Gesetzentwurf vorliege. “Denn eine gesetzlich verankerte Suizidprävention ist dringend notwendig, um Menschen mit Suizidgedanken wirksamer helfen zu können”, erklärte Präsident Rüdiger Schuch. Das Nationale Bündnis Suizidprävention veranstaltete am Montagmittag eine Mahnwache vor dem Ministerium in Berlin.
Lauterbachs Sprecher erklärte auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), das Gesundheitsministerium erarbeite derzeit auf der Grundlage der Suizidpräventionsstrategie einen Gesetzentwurf. “Die regierungsinterne Abstimmung ist noch nicht abgeschlossen.”
Fakt ist: Jährlich nehmen sich in Deutschland mehr als 9.000 Menschen das Leben, 2022 stieg diese Zahl erstmals wieder auf über 10.000. Damit sterben mehr Menschen durch Selbsttötung als durch Verkehrsunfälle, Mord, AIDS/HIV und illegale Drogen zusammen. Darüber hinaus gibt es mehr als 100.000 Suizidversuche. Auch Zehntausende Angehörige, Ärzte, Polizisten und Feuerwehrleute sind von Suiziden betroffen.
“Oftmals wären Suizide und Suizidversuche vermeidbar, wenn die bestehenden Hilfsangebote verzweifelte Menschen frühzeitig erreicht hätten”, heißt es in der Suizidpräventionsstrategie der Bundesregierung. Besondere Dringlichkeit erhält das Thema durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020. Die Karlsruher Richter hatten das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung gekippt und ein weitreichendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben formuliert. Seitdem dürfen Sterbehilfeorganisationen wieder Suizidbeihilfe anbieten; die Zahl der begleiteten Suizide ist deutlich angestiegen. Die Kirchen fordern deshalb, die Gesellschaft dürfe nicht den Eindruck erwecken, als akzeptiere sie den Suizid als normalen Ausweg aus Krisen und Problemen.
Im Rahmen der Suizidpräventionsstrategie hatte die Bundesregierung vorgeschlagen, die bestehenden Beratungs- und Kooperationsangebote bundesweit zu koordinieren und eine zentrale Notrufnummer – etwa die 113 – einführen. Fachkräfte im Gesundheitswesen und der Pflege sollten besonders geschult werden. Auch die Forschung soll ausgebaut werden. Zudem soll der Zugang zu Mitteln und Orten für einen Suizidversuch wie Gleisanlagen, Brücken und Hochhäusern eingeschränkt werden.
Das alles bleibt bislang unverbindlich. Präventionsexperten fordern deshalb klare gesetzliche Regelungen und eine verbindliche Finanzierung. Schuch präzisierte am Montag, der Diakonie gehe es insbesondere um die Telefonseelsorge, den Ausbau der psychiatrisch-psychosozialen Krisendienste sowie einen präventiven Hausbesuch ab 75 Jahren. Auch die katholische Kirche will verbindliche Regelungen. Sie fordert wie die Diakonie, die Suizidvorbeugung auch im Bereich von Altenhilfe und Medizin zu verbessern, etwa durch Palliativmedizin und Hospizarbeit.
Der Leiter des Nationalen Suizidpräventionsprogramms (Naspro), Reinhard Lindner, sagte am Montag der KNA, Menschen mit Suizidabsicht benötigten schnelle therapeutische Hilfe und längerfristig helfende Beziehungen. Es gebe in Deutschland bereits vielfältige niedrigschwellige Hilfen für suizidale Menschen und ihre Angehörigen. “Aber sie hangeln sich von einem Fördertopf zum anderen und sind finanziell oft am Limit.” Auch das Naspro, das sich als bundesweites Netzwerk von Experten zur Förderung der Suizidprävention versteht, werde nicht kontinuierlich gefördert.
Lindner begrüßte grundsätzlich die Anstrengungen der Bundesregierung, ressortübergreifend die Suizidvorbeugung zu verbessern. Es gebe allerdings Hinweise, dass dafür lediglich 13 Millionen Euro jährlich bereitgestellt werden sollten. Laut Naspro sind mindestens 20 Millionen Euro nötig.