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Experte: Vorbeugen kann ein Drittel der Suizide verhindern

In den vergangenen Jahren hat die Zahl der Suizide zugenommen. Ein Suizidpräventionsgesetz soll Selbsttötungen in Zukunft vorbeugen – und könnte nach Ansicht von Experten tausende verhindern.

Das geplante Suizidpräventionsgesetz der Bundesregierung könnte nach Ansicht von Peter Brieger, Ärztlicher Direktor des kbo-Isar-Amper-Klinikums Region München, künftig 30 Prozent der Selbsttötungen in Deutschland verhindern. “Das halte ich für realistisch”, sagte Brieger während eines Pressegesprächs am Donnerstag in München. Dort findet bis 12. Oktober die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention statt. Experten diskutieren dort die rechtlichen, medizinischen und gesellschaftlichen Aspekte der Prävention von Selbsttötungen.

Die Vorsitzende der Gesellschaft, Ute Lewitzka, betonte, dass allein bauliche Maßnahmen wie Brückengeländer zahlreiche Suizide vermeiden könnten. “Wir können eine genaue Zahl nicht vorhersagen, haben aber eine Idee davon, was passieren wird”, sagte Lewitzka zu den Folgen des geplanten Gesetzes. Die Weltgesundheitsorganisation wolle die weltweiten Selbsttötungen bis 2030 um 30 Prozent senken. “Das ist eine hohe Zahl. Aber ich finde, wir könnten uns das in Deutschland auch auf die Fahne schreiben.”

Die Palliativmedizinerin Claudia Bausewein äußerte indes Bedenken, dass deutlich abnehmende Suizidzahlen von steigenden Zahlen beim assistierten Suizid konterkariert werden könnten. “Auch ein assistierter Suizid ist ein Suizid”, betonte Bausewein. “Es könnten 10.000, 20.000 oder 30.000 davon hinzukommen.” Gleichzeitig erklärte die Direktorin am LMU Klinikum München, dass die Palliativmedizin den geäußerten Todeswünschen ihrer Patienten ergebnisoffen begegnen müsse. “Sie sind für uns fast Alltag.” Ziel der Palliativmedizin ist nicht mehr Heilung, sondern bestmögliche Lebensqualität für sterbenskranke Menschen zu erreichen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2020 das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben gestärkt. Im vergangenen Jahr gab es bundesweit mehr als 10.000 Suizide. Darunter waren Sterbehilfeorganisationen zufolge rund 900, bei denen lebensmüde oder sterbenskranke Menschen die Hilfe von Sterbehelfern in Anspruch genommen haben. Verlässliche Statistiken zu den Zahlen von Suizidhilfe gibt es allerdings nicht.

Im vergangenen Jahr hatte der Bundestag zudem mit überwältigender Mehrheit ein Suizidpräventionsgesetz beschlossen. Die Grünen-Politikerin Kirsten Kappert-Gonther, die auch Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag ist, erklärte nun, sie hoffe darauf, dass es noch in diesem Jahr das Kabinett passiere. “Ich gehe davon aus, dass das Suizidpräventionsgesetz in dieser Legislaturperiode kommt. Es wird ein Meilenstein sein”, erklärte Kappert-Gonther.

Das Gesetz sieht die verbindliche Umsetzung zahlreicher vorbeugender Maßnahmen vor, unter anderem etwa die Einrichtung einer deutschlandweiten Krisenhotline, die 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche erreichbar sein soll, sowie bauliche Maßnahmen etwa an Brücken und weitere Schulungen für Fachkräfte in Gesundheitswesen und Pflege.