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Experte über die jüngste Wende im US-Präsidentschaftswahlkampf

Am Sonntag hat US-Präsident Joe Biden seinen Verzicht auf seine Kandidatur für eine weitere Amtszeit erklärt. Der Schritt war seit Tagen erwartet worden. Trotzdem sind viele Fragen offen. Im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) versucht der Theologe und Leiter des Washingtoner Büros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, Hardy Ostry, einige davon zu beantworten.

KNA: Herr Ostry, nach der Entscheidung von Joe Biden ist zu hören, dass ein so kurzfristiger Rückzug eines Präsidentschaftskandidaten zum ersten Mal in der Geschichte der USA erfolgt sei. Stimmt das?

Ostry: Ja. Für die Demokraten ist das schon dramatisch, zumal bei ihnen Erinnerungen hochkommen an den chaotischen Parteitag im Jahr 1968 in Chicago, bei dem sie einen Nachfolger für den damaligen Präsidenten Lyndon B. Johnson bestimmen wollten. Das war schon seit Wochen die Frage hier in Washington: Droht uns ein neues 1968?

KNA: Warum?

Ostry: Zum einen ist das Datum als solches aufgeladen. Vietnam-Krieg, Unruhen in den USA, gesellschaftlicher Wandel. Zum anderen hatte der damals gewählte Kandidat Hubert Humphrey letztlich keine Chance. Es gewann der Republikaner Richard Nixon.

KNA: Wie geht es denn aktuell weiter bei den Demokraten?

Ostry: Was den Parteitag, die Convention, der Demokraten anbelangt, gibt es zwei Szenarien. Laut Statuten könnte eine offene Convention stattfinden, bei der sich mehrere Bewerber als künftige Präsidentschaftskandidaten zur Wahl stellen. Voraussetzung dafür wäre, dass diese Bewerber vorab die Unterstützung von mindestens 300 Delegierten haben. Ich vermute aber, dass die Parteiführung das vermeiden wird und stattdessen, Szenario zwei, Kamala Harris als einzige Kandidatin ins Rennen schickt.

KNA: Warum?

Ostry: Aus Sorge davor, dass sich tumultartige Szenen wie 1968 in Chicago wiederholen könnten. Außerdem ist da noch das Wahlrecht in Ohio.

KNA: Was macht den Bundesstaat so besonders?

Ostry: Das Wahlrecht in Ohio sieht vor, dass nur dann jemand auf dem Stimmzettel stehen kann, wenn er mindestens 90 Tage vor der Wahl auch nominiert ist. Das war schon immer ein strittiges Verfahren. In der Vergangenheit gab es zwar immer wieder Ausnahmen, bei denen sich der Gouverneur von Ohio mit den jeweiligen Parteien auf Sonderregeln verständigt hat. Aber darauf wollten es die Demokraten diesmal nicht ankommen lassen, weswegen sie vor der eigentlich ja nur formalen Bestätigung des Präsidentschaftskandidaten auf dem Parteitag eine digitale Vorwahl anberaumt haben. Die müsste bis zum 7. August stattfinden, um die Frist von Ohio einzuhalten.

KNA: Sie meinen also, es läuft auf Kamala Harris hinaus?

Ostry: Ja – und das auch noch aus einem anderen Grund. Sie ist die einzige Kandidatin, die im Moment auch vermeiden kann, dass die bislang gesammelten Spenden für den Wahlkampf nicht zurücküberwiesen werden müssen. Weil sie als Vizepräsidentschaftskandidatin bereits im Team von Joe Biden war, kann Kamala Harris die eingegangenen Gelder berechtigterweise verwenden.

KNA: Die Republikaner haben Donald Trump soeben zu ihrem Präsidentschaftskandidaten gekürt. Welche Chancen räumen sie der potenziellen Konkurrentin aufseiten der Demokraten ein?

Ostry: Die Demokraten müssen jetzt schauen, dass sie relativ schnell eine schlagkräftige Kandidatin oder einen schlagkräftigen Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten finden, damit sie eine neue Geschichte erzählen können. Mit dem Rückzug Bidens ist auf einmal Trump der alte Mann. Das kann man im Wahlkampf sicherlich ausnutzen.

KNA: Vielleicht thematisch trotzdem ein wenig dünn.

Ostry: Natürlich wird es auch darum gehen, die wirtschaftspolitischen Erfolge der Biden-Regierung besser herauszustellen. Die Daten sind gut. Das Problem ist die Teuerungsrate und die Inflation. Die Leute spüren es noch nicht in ihrem Portemonnaie, dass es ihnen eigentlich ganz gut geht.

KNA: Wer käme denn als Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten infrage?

Ostry: Josh Shapiro, der Gouverneur von Pennsylvania. Der könnte auch seinem direkten Kontrahenten bei den Republikanern, J.D. Vance, Paroli bieten.

KNA: Welche Rolle spielen bei dieser Wahl die Christen in den USA?

Ostry: Wahrscheinlich war die katholische Kirche als Ganzes gesehen noch nie so einflussreich in der amerikanischen Politik wie heute. Und es gab wahrscheinlich noch nie so viele überzeugte und praktizierende Katholiken in den jeweiligen Camps der Bewerber.

KNA: Aber?

Ostry: Die Katholiken sind total gespalten, bis hinein in die US-Bischofskonferenz. Ein ganz wichtiges Thema ist die Abtreibungsfrage. Ganz grob gesagt finden Sie in Trumps Lager die tendenziell konservativen Katholiken, während sich bei Biden bislang eher Vertreter aus dem linken Lager, die Herz-Jesu-Sozialisten, beheimatet fühlen.

KNA: Nun gibt es nicht nur Katholiken in den USA…

Ostry: Eine enorm wichtige Rolle spielen die evangelikalen Christen, gerade auch bei der Debatte um Schwangerschaftsabbrüche. Der Druck von dort auf die Politik ist sehr groß. Das hat aber bereits in den 1980er-Jahren begonnen. Es waren besonders extreme Evangelikale, die das Attentat auf Trump vor allem in den Sozialen Medien in abstruse Offenbarungstheorien umgedeutet haben, indem sie Gottes Hand hinter dem Überleben von Trump gesehen haben. Wenn man das zu Ende denkt, dann müsste man sich fragen: War es dann auch Gottes Wille, dass bei dem Anschlag der im Publikum anwesende Feuerwehrmann getötet wurde? Absurd.