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Experte: Strafmündigkeit ab zwölf Jahren senkt Kriminalität nicht

Kinder mobben Gleichaltrige, greifen sie an und schmieden sogar Mordpläne. Es scheint, dass Gewalt bei den jüngsten in der Gesellschaft zunimmt. Ein Kriminologieprofessor hält dagegen.

Eine Herabsetzung der Strafmündigkeit auf zwölf Jahre wäre nach Ansicht von Kriminologieprofessor Ralf Kölbel nicht sinnvoll. “Die Forschung zeigt, dass eine frühere Strafmündigkeit nicht dazu beiträgt, Kriminalität zu senken. Die Idee, dass ein früheres Eingreifen abschreckend wirkt, ist empirisch nicht haltbar”, sagte der Wissenschaftler von der Ludwig-Maximilians-Universität in München der Zeitung “Die Welt” (Donnerstag). In Deutschland liegt das Alter der Strafmündigkeit bei 14 Jahren.

Laut Kölbel sind viele Delikte von Kindern und Jugendlichen spontane Affekttaten, bei denen keine rationale Abwägung stattfindet. “Abschreckung funktioniert aber nur, wenn eine Tat bewusst geplant wird.”

Auch hätten Studien aus den USA gezeigt, dass sich durch frühe Polizeikontakte und Strafverfahren das soziale Umfeld negativ verändere. “Wer früh mit dem Justizsystem in Berührung kommt, hat etwa ein höheres Risiko für schulische Misserfolge und delinquente Freundeskreise. Das kann eine kriminelle Karriere eher fördern als verhindern”, so der Experte. Die Verhältnisse in den USA seien zwar nicht direkt auf Deutschland übertragbar, aber es gelte: “Eine Kriminalisierung in jungen Jahren kann bestehende Probleme verstärken.”

Zudem müssten Statistiken richtig eingeordnet werden. “Die polizeiliche Kriminalstatistik erfasst nur das Hellfeld, also Fälle, die tatsächlich angezeigt wurden. Diese Zahlen können durch veränderte Kontrollen und gesteigertes Anzeigeverhalten beeinflusst sein”, sagte Kölbel. Dunkelfeldstudien – bei diesen berichten Jugendliche anonym über ihr Verhalten – würden ein anderes Bild abgeben. “Hier ist der Anstieg weniger klar und weniger stark.” Zudem seien Kriminalitätszahlen bei Kindern und Jugendlichen seit 2007/08 stark gesunken.

Zum aktuellen Anstieg gebe es verschiedene Hypothesen. Ein wichtiger Faktor seien möglicherweise Nachholeffekte der Corona-Pandemie. “Viele Kinder hatten während der Lockdowns weniger soziale Kontakte, weniger Möglichkeiten, sich auszuprobieren. Jetzt holen sie das nach”, so der Experte. Auch spiele Migration eine Rolle. Neu angekommene Kinder kämen oft aus schwierigen Verhältnissen.

Nach Einschätzung des Kriminologieprofessors haben möglicherweise auch gesellschaftliche Krisen einen Einfluss: “Unsicherheit, Zukunftsängste und soziale Spannungen können sich auf das Verhalten von Jugendlichen auswirken.”

Nachdem in der vergangenen Woche in Stuttgart ein 13-Jähriger einen anderen Jungen vor eine Straßenbahn schubste, der danach starb, wird über eine Herabsetzung des Alters debattiert. Die Strafmündigkeitsgrenze wurde in Deutschland im Jahr 1923 auf 14 Jahre festgelegt.