Europa wird sexuell bunter – aber mit der neuen Unbefangenheit wachsen auch Klagen über Gewalt und Vorurteile. Aus Sicht der Betroffenen schwindet in der EU vielfach der Rückhalt durch Regierungen.
Angehörige sexueller Minderheiten in Europa gehen offener mit ihrer Identität um, erfahren nach eigenen Angaben aber auch häufiger Gewalt, Belästigung und Mobbing. Vor allem Jugendliche sehen sich Äußerungen von Hass ausgesetzt. Das geht aus einer am Dienstag veröffentlichten Umfrage der EU-Agentur für Grundrechte hervor, an der im Jahr 2023 mehr als 100.000 LGBTIQ-Personen teilnahmen. Die englische Abkürzung LGBTQI steht vor allem für nicht-heterosexuelle Menschen, die sich etwa als lesbisch, schwul oder queer identifizieren.
So erklärten europaweit 52 Prozent, ihre sexuelle Identität offen zu zeigen. Allerdings vermeiden noch immer 54 Prozent Zeichen der Zuneigung wie Händchenhalten in der Öffentlichkeit – aus Angst, angegriffen zu werden. 59 Prozent gaben den Eindruck wieder, Gewalt gegen sexuelle Minderheiten habe in ihrem Land zugenommen, und 53 Prozent sahen eine Zunahme von Vorurteilen und Intoleranz. Beide Werte stiegen im Vergleich zu 2019 deutlich von 43 beziehungsweise 36 Prozent.
In fast allen EU-Staaten sank die Auffassung von LGBTIQ-Personen, dass ihre Regierung genug gegen Vorurteile und Intoleranz unternehme. Während im Jahr 2019 europaweit noch 30 Prozent diese Ansicht äußerten, waren es jetzt nur noch 26 Prozent. Eine positive Entwicklung verzeichneten nur Estland, Spanien und Slowenien. Besonders markante Einbrüche verzeichneten Finnland, Griechenland und Italien. Schlusslicht ist – nach Polen – Ungarn mit 3 Prozent.
Jede siebte Person (14 Prozent) gab an, in den vergangenen fünf Jahren Gewalt erfahren zu haben. In der Umfrage von 2019 waren es 11 Prozent. 18 Prozent und damit 2 Prozentpunkte weniger erklärten, einen entsprechenden Vorfall der Polizei gemeldet zu haben. 54 Prozent erlebten im vergangenen Jahr eine Belästigung wie Drohungen, Anstarren oder Beleidigungen im Internet.
In Deutschland äußerten die Befragten eine größere Offenheit hinsichtlich ihrer geschlechtlichen Identität (60 Prozent). Allerdings meinte auch ein höherer Anteil als im EU-Schnitt, dass die Gewalt gegen sie zugenommen habe (65 Prozent). Zugleich lag auch die Quote derer, die mit Schutz und Rückhalt durch die Regierung zufrieden sind, in Deutschland mit 38 Prozent über dem europäischen Mittel.
Für die Erhebung wertete die EU-Grundrechteagentur die online gegebenen Auskünfte von knapp 100.600 Personen aus den 27 EU-Staaten sowie Albanien, Nordmazedonien und Serbien aus. Angesichts methodologischer Herausforderungen handle es sich um keine repräsentative Umfrage im strengen Sinn, sie sei aber “so repräsentativ wie möglich”.