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„Es ist wie ein Fieber“

Hermann Wolter hatte in seinem Leben nur selten einen festen Wohnsitz, er wollte die Welt sehen. Erst ein Zeichen „von oben“ ließ ihn ruhiger werde.

Von Amet BickEr sei in seinem Leben nie krank gewesen, sagt Hermann Wolter, was sicherlich an der hohen Dosis Medikamente gelegen habe, die er so lange in seinem Blut hatte. Weder Schnupfen noch Kopfschmerzen oder gar Malaria hätte er gehabt. An 65 Pharma-Studien hat Hermann Wolter teilgenommen, er testete für Konzerne, wie verträglich die neuen Beta-Blocker waren oder das Mittel gegen Lungenentzündung. Vier bis fünf Wochen war er dann in einer Art Klinik untergebracht, hatte einen Schlafplatz und Essen, und verdiente bis zu 1000 DM in der Woche. Das war in den 80er Jahren, in München.Heute ist Hermann Wolter 55 Jahre alt. Sein Zimmer im Übergangsheim der Berliner Stadtmission ist aufgeräumt – ein Bett, ein Tisch, eine kleine Kochecke und ein paar Bücher, vor allem Bildbände über ferne Länder. Unterwegs sein, das war immer seine große Leidenschaft. „Es ist wie ein Fieber“, sagte er, „ich muss alles sehen.“ Sobald er ein paar Tausend Mark durch eine Pharma-Studie zusammen hatte, ist er losgezogen, nach Namibia, Südafrika, Indien, Australien. In Kanada gefiel es ihm am besten, da wäre er geblieben, wenn er einen Job gefunden hätte. Hermann Wolter ist ein eher zarter Mann. Er hat graue Haare, ein feines Gesicht. Ursprünglich kommt er aus Bad Homburg. Dort lebte er mit den Eltern, seinem Zwillingsbruder, seiner jüngeren Schwester und dem kleinen Bruder. Hier machte er eine Einzelhandelslehre in einem Kaufhaus, Fachbereich Elektronik. Stolz ist er noch heute darauf, dass er bei den Kollegen anerkannt war und viele Stammkunden hatte. Und an den Wochenenden sei er weggefahren, erzählt er, nach Holland oder Belgien. Die Verlobung mit einer Krankenschwester zerbrach nach drei Jahren. Als er 24 Jahre alt war, wurde er in eine andere Filiale versetzt. „Nach Würzburg zu gehen, war der größte Fehler meines Lebens“, glaubt er. „Wenn ich in Bad Homburg geblieben wäre, wer weiß, was aus mir geworden wäre.“ Das Kaufhaus in Würzburg ging pleite und Hermann Wolter verlor seinen Job. Danach hatte er mal hier eine Stelle, mal dort. (…)

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